»Kulturaufgabe Weltraumschiff« – hinter diesem Titel verbirgt sich ein großartiges Buch über den »Verein für Raumschiffahrt«, das ich in den vergangenen Wochen gelesen habe. Dass ich mehrere Wochen dafür gebraucht habe, liegt unteranderem am Umfang des Sachbuchs. 340 Seiten geballte Informationen lesen sich nicht so einfach weg.
Der »Verein für Raumschiffahrt« wurde 1927 gegründet. Das Buch beginnt aber bereits im Jahr 1923, als Hermann Oberths Raketentheorien erstmalig verlegt werden und in Deutschland auf großes Interesse stoßen. Allerdings nicht unbedingt bei allen Wissenschaftlern und Ingenieuren. Einige halten seine Theorien für Unsinn und behaupten, es sei nicht möglich, einen Menschen mittels einer Rakete ins All zu schicken. Allein diese ersten Kapitel offenbaren, wie schwer es sein kann, neue wissenschaftliche Ideen zu etablieren. Es wird immer Gegner einer neuen Theorie geben. Dies hat sich bis heute nicht geändert.
Auch nicht geändert hat sich die Vereinsmeierei. Nach Gründung des Vereins ging es oft drunter und drüber. Wenige Aktive machen die Arbeit für viele Mitglieder. Es wird um Posten im Vorstand geschachert, Geld veruntreut oder sich darüber gestritten, wer etwas zu sagen haben darf und wer nicht. Dazu kommt ein stetiger Geldmangel und die Mühe, die Mitgliedsbeiträge pünktlich einzuziehen. Das läuft bei manchen Vereinen in Deutschland wahrscheinlich bis heute so. Da stehen den Zielen mitunter die Egos des einen oder anderem im Weg. Nichtsdestotrotz kann der Verein Erfolge verbuchen, vor allem in der weiteren Verbreitung der Idee der Rakete. Anfangs nur belächelt, soll ihre Entwicklung später zum Problem für die Mitglieder und den Verein werden.
Zwischen 1929 und 1933 sind Mitglieder des Vereins maßgeblich an der Entwicklung von Raketenprototypen beteiligt. Es wird dafür sogar ein eigener Raketenflugplatz in Berlin gegründet. Doch auch bei der Raketen-Entwicklung stehen sich die Egos der Entwickler, Ingenieure und Wissenschaftler im Weg. Statt sich zusammenzuschließen und gemeinsam an den Problemen zu arbeiten, forscht jeder mehr schlecht als recht vor sich hin. Die meiste Zeit geht dabei fürs Sammeln von Geldern drauf. Dabei wäre man einfacher und schneller ans Ziel gekommen, wenn jeder ein bisschen über seinen Schatten gesprungen wäre.
So richtig spannend sind die letzten Kapitel ab 1932. Hier erlebt man das Aufkeimen des Nationalsozialismus hautnah mit. Nachdem das Heereswaffenamt Interesse an der Raketentechnik bekundet, werden den Vereinsmitgliedern Steine in den Weg gelegt, die die zivilen Verwendungsmöglichkeiten der Rakete priorisieren. Man erfährt, wie Briefe abgefangen, Wohnungen durchsucht, Leute diffamiert und sogar verhaftet werden. Es geht soweit, dass nicht mal mehr das Wort Rakete öffentlich ausgesprochen oder darüber geschrieben werden darf.
So endet das deutsche Kapitel früher ziviler Raumfahrtforschung in Deutschland 1934. Der Autor Wolfgang Both hat unzählige Dokumente, Publikationen und Briefe zusammengetragen und die Geschichte des Vereins systematisch aufgearbeitet. Außerdem hat er zu jedem wichtigen Mitglied biografische Fakten zusammengetragen und das Ganze mit seltenen Fotoaufnahmen dokumentiert. Darunter auch Fotos von Raketentests und technischen Details. Leute, die sich für die Geschichte der Raumfahrt interessieren, finden hier eine detaillierte Zusammenfassung der Ereignisse.
Ich weiß nicht, wie lange der Autor für dieses epochale Werk gebraucht hat, aber es wird wohl Jahre in Anspruch genommen haben. Allein den Rechercheaufwand vermag ich mir kaum vorzustellen. Hilfreich waren die Privatarchive der Hinterbliebenen damaliger Mitglieder sowie Museen und Archive. Dafür ist das Buch mit dreißig Euro ein wahrhaftiges Schnäppchen. Herausgegeben vom Kellner-Verlag ist das Buch bestellbar beim Raumfahrt-Archiv-Bremen oder bei ausgesuchten Onlinehändlern.