Wie ich den Unsterblichen traf

In ein paar Tagen werden es fünfundzwanzig Jahre, seit ich zum ersten Mal Perry Rhodan begegnete. Die Geschichte ist so ungewöhnlich, dass ich sie unbedingt erzählen möchte.

Sie beginnt an einem kalten Tag im Februar 1990 an einem Bahnhof. Es muss sehr früh am morgen gewesen sein, vielleicht auch mitten in der Nacht, so genau weiß ich das nicht mehr. Mein Vater und ich wollten zum ersten Mal nach der Grenzöffnung zu meiner Tante in den Schwarzwald fahren. Der Interzonenzug fuhr zwar durch Saalfeld, hielt dort aber nicht an, sondern erst einige Kilometer weiter an der noch bestehenden innerdeutschen Grenze. Dort wurden Pässe kontrolliert und der Zoll nahm den halben Zug auseinander. Noch wenige Wochen zuvor durfte dort niemand zusteigen, nun bot sich für uns diese einzigartige Möglichkeit.
Doch einfach war es dennoch nicht, da der Zug (ein alter IC mit Abteilen) heillos überfüllt war. Die Menschen standen, saßen und lagen in den Gängen und sogar in den Durchgängen zwischen den Wagons. Irgendwie quetschten wir uns mit ein paar weiteren Reisenden noch hinein. Ich fand einen Platz vor der Toilette, den ich jedoch jedes Mal räumen musste, wenn einer aufs Klo wollte. So standen wir (ich saß zeitweise auf meinem Koffer) bis Stuttgart. In Nürnberg leerte sich der Zug zwar etwas, aber einen Sitzplatz bekamen wir nicht. Doch wir erlangten zumindest etwas mehr Bewegungsfreiheit.
Von Stuttgart ging die Reise in einem InterRegio weiter nach Karlsruhe. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich von dem modernen Zug war, als er durch die vielen Tunnel rauschte. Und das beste war, wir hatten sogar einen Sitzplatz. In Karlsruhe stiegen wir in einen D-Zug nach Basel (Schweiz). Basel hat mehrere Bahnhöfe, in einem davon hielten und halten die Züge aus Deutschland. Dort stiegen wir in eine Regionalbahn, die uns endlich ans Ziel brachte. Ich habe keine Ahnung, wie viele Stunden wir unterwegs waren, aber es müssen acht bis zehn gewesen sein.
Meine Tante wohnte in Zell im Wiesental, einem kleinen Ort am Fuße des Hochschwarzwald. Sie hatte ein großes Haus, in dem sie, seit dem Tod ihres Mannes (dem Bruder meines Vaters) und ihrer Tochter, allein lebte. Ich durfte im Zimmer meiner verstorbenen Cousine schlafen, das so aussah, als hätte es die achtundzwanzigjährige gerade erst verlassen. Von hier aus, gelangte man über eine kleine Terrasse ins Dachgeschoss einer Doppelgarage, das als Speicher genutzt wurde.
Neugierig wie Fünfzehnjährige eben sind, sah ich mich dort um und machte eine Entdeckung nach der anderen. Denn dort lagerten Hunderte von Rätselheften, Comics, Büchern und Heftromanen. Letztere waren meist Arzt- oder Heimatromane, hin und wieder fanden sich auch Western und Kriegshefte darunter. Ich stöberte so lange, bis ich auf ein paar Hefte stieß, auf denen Raumschiffe und außerirdische Welten abgebildet waren. Irgendwie faszinierten mich die Abbildungen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch kein großer Science Fiction-Fan war. Ich schnappte mir die Hefte und las sie abends im Bett. Sie hatten leider keine zusammenhängende Nummerierung; es waren teilweise schon etwas zerfledderte Erstausgaben aus den frühen Sechzigern. Dennoch nahmen mich die Geschichten gefangen. Es ging um eine Gruppe Raumfahrer, die auf dem Mond das Raumschiff gestrandeter Außerirdischer entdeckt hatten und um Mutanten. In einem Heft gab es einen Außerirdischen, der wie eine große Maus aussah und immer Mohrrüben futterte, das gefiel mir gut.
Am nächsten Tag durchsuchte ich den Speicher fieberhaft nach weiteren solcher Heften, fand aber keine mehr.
Bevor wir wieder nach Hause fuhren, fragte ich meine Tante, ob ich die drei Hefte mitnehmen dürfte. Sie hatte nichts dagegen und so kam ich in den Besitz meiner ersten PERRY RHODAN-Hefte.

Ein Vierteljahr später kam die Währungsunion und bescherte uns Ostdeutschen ungeahnte Möglichkeiten. Erst dann konnte ich meine Liebe zu PERRY RHODAN vertiefen, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Übrigens, diese drei PERRY RHODAN-Hefte von damals, besitze ich heute noch. Es sind die Hefte mit der Nummer 10, 56 und 164.

Vergessener Schatz

Anlässlich des Weihnachtsbaumrückbaus am heutigen Vormittag, nutzte ich bei meinen Eltern gleich mal die Gelegenheit, aufzuräumen und richtig sauberzumachen. Ich räumte Schallplatten ins Regal und entsorgte alte Zeitschriften. Dabei fiel mir ein Bündel Trauerkarten in die Hände, welche wir nach dem Tod meiner Großmutter 1986 erhalten hatten. Ich reichte sie gleich mal an meinen Vater weiter, der sie in der nächsten Viertelstunde mit großem Interesse durchsah. Auf einmal stand er mit einem lauten „Das gibt’s nicht!“ in der Tür. Er las mir eine der Trauerkarten vor und ich verstand zunächst nicht, was er meinte, denn der Text hörte sich völlig üblich an. Doch als er mir dann die Karte in die Hand drückte und ich sie aufschlug, entkam mir ebenfalls ein: „Das kann nicht wahr sein, oder?“

In der Karte lag fein säuberlich noch ein Zwanzig Mark Schein. Und nein, es waren keine DM: Es waren zwanzig Mark der DDR …

Unfassbar! Seit fast dreißig Jahren dämmerte das Geld jetzt in dem Kartenstapel. Dabei waren zwanzig Mark in der DDR viel Geld, mit dem man allerlei nützliche Dinge hätte kaufen können. Zum Beispiel hätte man dafür zweihundert Semmeln oder zwölf Brote bekommen oder zwei Büchsen Ananas. Es wäre unter Umständen auch eine Nylonstrumpfhose drin gewesen oder nicht ganz vier Tafeln gute Schokolade. Gut, für eine Flasche Goldkrone (Weinbrand) hätte man nochmal neun Mark drauflegen müssen, aber da hätte man das Geld besser in einer Kneipe auf den Kopf hauen können.
Jetzt ist es für all das zu spät, weil es nur noch Erinnerungswert hat. Aber es war eine vergnügliche Erinnerung, trotz des damals traurigen Anlasses.

Sushi in Suhl

81zmoEI22rL._SL1420_Anfang der Siebziger Jahre eröffnet der visionäre Koch Rolf Anschütz ein japanisches Restaurant in Suhl. In tiefster DDR-Provinz eine Herausforderung und wahre Mamutaufgabe, nicht nur bei der Beschaffung von Lebensmitteln und Japandeko, sondern auch bei den Auseinandersetzungen mit den Parteibonzen der HO (Handelsorganisation der DDR). Schließlich ist Japan nicht gerade ein sozialistischer Bruderstaat und die exotische Küche könnte ja Begehrlichkeiten in den Bürgern wecken, die vom Handel nicht gestillt werden können. Doch Anschütz beißt sich durch, setzt alles aufs Spiel und gewinnt: Zunächst nur die Anerkennung eines richtigen Japaners, später auch die der Parteifreunde.
Mit dem ausgeprägten Improvisationstalent eines Ostdeutschen schafft er das Unmögliche: Bis zur Wende bewirtet er fast zwei Millionen Gäste in seinem Restaurant, darunter viele Prominente.
Auf der Strecke aber bleibt die Familie: Frau, Sohn und Vater. Es ist ein hoher Preis den Anschütz für den Erfolg zahlen muss.

Ich war sehr gespannt auf den Film, schließlich hatte es im Vorfeld alle möglichen Kritiken dazu gegeben, positive wie auch negative. Als er am Mittwoch über den Bildschirm flimmerte, erwies er sich als Topunterhaltung.
Die hervorragende Komik mit politischen Unterton, stets ein wenig überzogen, hatte auch seine nachdenklichen Momente. Die Charaktere waren gut besetzt und Uwe Steimle in der Hauptrolle überzeugte, wenn auch sein sächsischer Dialekt nicht in die Region Suhl passte (Die reden da nämlich schon fränkisch.). So ist es dennoch die gelungene Verfilmung einer wahren Begebenheit und zeigt das Leben in der DDR, wie es war. Aus nichts etwas machen, konnten und können wir Ostdeutschen heute immer noch, zumindest die vor 1980 geborenen.
Jetzt weiß ich auch, wie wir Mitte der 80er bei einem Besuch in Suhl an Krabbenchips gekommen sind. Die gab es nämlich nur dort im ansässigen Fischladen.
Auch der Umgang mit den „Parteifreunden“ fand ich gelungen. Christian Tramitz in der Rolle des Ernst Kaltenhauser passte wie die Faust aufs Auge. Nur das er wahrscheinlich eher mit einem BMW als einem Mercedes in die DDR gereist ist. :)
Einzig die Ortsbilder und Außenaufnahmen sehen so gar nicht nach Suhl aus, das in den 80er Jahren eigentlich eine moderne Stadt mit 56 000 Einwohnern war.

Fazit: Der Film zeigt das Leben in der DDR gänzlich ohne den politischen Zeigefinger zu erheben. So wie „Go Trabi Go“ von 1991 will er einfach nur unterhalten und dies gelingt ihm auf fulminante Weise.

Vor 25 Jahren …

… war ich 15 Jahre alt und frisch verliebt. Vielleicht ein Grund dafür, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnere, was ich am 9. November 1989 gemacht habe. Ich erinnere mich aber noch sehr genau daran, das ich am 12. November zum ersten Mal gesehen habe, wie es auf der anderen Seite der Berge aussieht, die man von unserem Wochenendhaus sieht (Siehe Foto). 15 Jahre lang habe ich diese Berggipfel angeschaut und gewusst, das irgendwo dahinter die Grenze sein muss. Manchmal hat man nachts das Flutlicht vom Grenzzaun gesehen oder die Hubschrauber, die auf westlicher Seite patrouillierten. Doch wie es dahinter aussah, blieb mir verborgen, schließlich war für jeden DDR-Bürger fünf Kilometer vor der Grenze Schluß. Ab diesem 12. November durfte jeder diese Sperrzone betreten. Die Nachricht darüber verbreitete sich wie ein Lauffeuer und jeder in der Wochenendsiedlung sprang fast sofort ins Auto und fuhr los.
Man durfte sogar durch Probstzella fahren, ein Grenzort an dem die Interzonenzüge (zwischen Berlin und Nürnberg) hielten und kontrolliert wurden. Ich hatte eine Freundin in diesem Ort, die ich aber nie besuchen durfte. Jetzt konnte ich zum erstem Mal sehen, wo sie lebt.

Komisch, wenn ich heute darüber nachdenke, rührt mich das irgendwie. Damals hat man das „Eingesperrtsein“ einfach so hingenommen, weil man es nicht anders kannte. Städte wie Paris oder New York waren mir damals so fern wie der Mond und auf den kann man ja bis heute nicht. Ich will damit nur sagen, dass ich mich als Kind oder Jugendliche nie eingesperrt gefühlt habe. Wie sollte ich auch etwas vermissen, was ich nie kennengelernt habe. Das ist heute vielleicht  traurig, damals war es das für mich nicht.

Das untenstehende Foto deutet es an, die Kammline am Ende des Talausschnitts markiert die ehemalige fünf Kilometerzone. Was sich hinter den Bergen verbirgt, ist heute zum Glück kein Geheimnis mehr.

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„Schöne, schnelle“ Welt

Irgendwie fühle ich mich dieser Tage an alte DDR-Zeiten erinnert, wo sich alles um Gera oder Berlin drehte und der Spruch „…derweil Hinterlengenfeld die Tapete von den Wänden fällt“ zu einem geflügelten Wort wurde.  Ich stelle fest, das sich trotz Föderalismus in 25 Jahren Bundesrepublik nichts geändert hat, nur die Namen wurden ausgetauscht. Wo sich früher alles um die Bezirkshauptstadt gedreht hat, dreht sich heute alles um die „Metropole“ Erfurt. Da wird gerafft was die Region hergibt, besonders, wenn es sich um Infrastruktur-Projekte handelt. Bereits 1994 wurde ein wahnwitziges Unternehmen gestartet, das sich ICE Hochgeschwindigkeitstrasse durch den Thüringer Wald nannte. Geld dafür war noch keines da, aber es wurde schon mal angefangen, parallel zur Thüringer Wald Autobahn. Und das weil: Warum nur an einem Mammut-Projekt bauen, wenn man fürs zehnfache Geld zwei bekommen kann. Zwischendurch wurde das Projekt von der Regierung Schröder gestoppt. Wahrscheinlich hat zum ersten mal jemand eine Kosten-Nutzen-Rechnung gemacht und unterm Strich festgestellt, das es viel zu teuer ist. Doch kaum war die schwarze Fraktion wieder am Zuge, schon haben die Erfurter Lobbyisten Rückenwind bekommen und konnten ihre Wünsche durchsetzen, gegen die Proteststimmen der anderen Thüringer Regionen.

Die Saalebahn (derzeitige Hauptstrecke zwischen Berlin und München) besteht seit der Jahrhundertwende zum 20.Jh. Selbst die Reparationsleistungen nach dem 2. Weltkrieg (Abbau des zweiten Gleises und der Elektrifizierung) und die Teilung Deutschlands hat die Strecke und somit auch die Region überleben lassen. 2017/2018 soll nun Schluss sein, denn dann ist das Erfurter Prestigeobjekt endlich fertig (nach 23 Jahren!) und dann rollen die Züge ohne Halt durch den Thüringer Wald. Einzig Erfurt wird noch an das Fernnetz der DB angeschlossen sein. Als einzige Thüringer Stadt wohlgemerkt, egal ob von West nach Ost oder von Nord nach Süd. Nicht nur die Region Ostthüringen wird dann wortwörtlich auf der Strecke bleiben.

Gestern lese ich hier, das wir schon 2016 in den Genuss der ICE-losen Zeit kommen. Sehr schön! Für mich als reinen Bahnfahrer eine Katastrophe. Noch vor wenigen Jahren, habe ich mit dem ICE für die Strecke Saalfeld-München ohne Umsteigen 2 Stunden und 50 Minuten gebraucht. Momentan sind es 4 Stunden (mit Umstieg in Nürnberg 3 Stunden 30 Minuten). Ich will nicht ausrechnen, wie lange ich ab 2016 unterwegs sein werde. Das nenne ich mal Fortschritt!

An die vielen Pendler aus der Region und die Betriebe, die zwangsläufig ihre Zelte abbrechen und ihre Steuergelder woanders bezahlen werden, mag ich gar nicht denken. Was der Region Saalfeld am Ende bleibt sind drei Autobahnen (A4, A9 und A71), von denen jede mindestens 50 km entfernt ist. Da kann man uns nur noch „Gute Nacht!“ wünschen.