Das Ende des Sozialismus aus der Sicht seiner letzten Generation

Das Land in dem ich geboren wurde, gibt es nicht mehr. Dieser Gedanke ist, näher betrachtet, schon ziemlich merkwürdig. Denn ich habe weder meine Heimat verlassen noch Familie oder Freunde. Und doch ist mein Geburtsland sang und klanglos von der Bildfläche verschwunden, inklusive seiner Gesellschaftsordnung. Noch erstaunlicher ist der Zeitrahmen in dem das alles geschehen ist. Denn in geschichtlichen Zeiträumen gesehen, kam der Untergang von heute auf morgen. Es blieb weder Zeit für Abschiedsschmerz, noch für weise Vorausplanung; keine Zeit für das Seelenheil der Menschen, die darin lebten und keinerlei vernünftige Vorschriften für Wirtschaft oder die Gesellschaft an sich.

Als friedliche Revolution von Millionen gefeiert, entpuppte es sich später eher als feindliche Übernahme. Darüber haben inzwischen viele Leute aus Ost und West geschrieben und jeder Bundesbürger sollte inzwischen darüber Bescheid wissen. Mir geht es heute um ein persönliches Statement.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung komme ich nicht umhin, zurück zu blicken, auf meine ersten 16 Jahre im »Sozialistischen Vaterland DDR«. Ich möchte versuchen die Sicht, die ich und viele meiner Generation auf die Wende haben, in Worte zu fassen und verständlich machen, warum wir heute noch viele Dinge anders sehen, als unsere Freunde im Westen.

Ein Studienfreund sagte einmal zu mir: »Wir werden keine Wessis mehr.« Und da ist durchaus etwas dran. Doch warum eigentlich? Sind 16 Jahre sozialistische Prägung wirklich so einschneidend und wie viel Sozialismus haben wir als Kinder wirklich verinnerlichen können? Eines, was ich an mir und an anderen beobachtet habe ist, dass uns Ostdeutschen der Biss fehlt, um sich in einer Gesellschaftsordnung wie der jetzigen durchzusetzen. Wir haben einfach nicht den notwendigen Killerinstinkt oder das entsprechend große Ego, welches man braucht, um zu bekommen, was man will. Dafür haben wir eine Fähigkeit, die uns von den im Westen Aufgewachsenen unterscheidet: Wir können unglaublich gut improvisieren. Ich merke das häufig in meinem Job. Während die Kollegen noch rätseln, wie man das jetzt machen könnte, präsentiere ich bereits eine Lösung. Aber meistens wird die nur bedingt für würdig befunden, weil ich nicht das notwendige Selbstbewusstsein habe, meine Idee auch zu verteidigen.
Auch Zusammengehörigkeitsgefühl und Vertrauen war etwas, dass man in der DDR gelebt hat. Es wurde viel mehr miteinander gemacht. Doch das ist in den 25 Jahren verloren gegangen. War man früher einander gleich, so ist man es heute nicht mehr. Heute bestimmt gegenseitiges Misstrauen unser Handeln, auch unter den Menschen, die früher befreundet waren.

Sicher, es überwiegen die positiven Auswirkungen der Wiedervereinigung. Und dabei denke ich in erster Linie nicht nur an Rede- oder Reisefreiheit. Ich bin sehr dankbar, dass ich 1990 auf dem neu gegründeten Gymnasium mit etwas vertraut gemacht wurde, das sich Humanismus nennt; das Toleranz gegenüber anderen Meinungen und anders Denkenden ein wichtiges Gut ist. (Sofern sie damit niemandem Schaden zufügen.) Auch bin ich dankbar dafür, dass ich all die Bücher lesen durfte, die ich wollte; das ich »Star Trek« im Kino erleben konnte; das ich jede Woche die »Bravo« und »Perry Rhodan« kaufen konnte, ohne in der Schule deswegen Ärger zu bekommen. Ich bin dankbar für die Weltsicht, die man mir aufzeigte, denn ich glaube, dass ich heute ein völlig anderer Mensch wäre, hätte es die Wende nie gegeben.

Einen Einwand mag man mir aber noch zugestehen. Es war so viel möglich in jener Zeit zwischen dem 9.11.1989 und dem 3.10.1990 und es wurde so wenig davon umgesetzt. Die Chance etwas Neues zu schaffen, opferte man dem schnöden Mammon »Geld«. Und daran waren beide Seiten schuld. Die DDR-Bürger, die das Alte nicht mehr mochten und alles Neue aus dem Westen als das Nonplusultra begrüßten, nur um dann Jahre später festzustellen, dass auch dort nicht alles perfekt und gut war. Und die Westdeutschen, die in gutgemeinter Absicht glaubten, dass man die »armen« DDR-Bürger erretten müsse und ihnen zeigen, was man für die Krone der Schöpfung hielt. Es ging viel zu schnell und doch hätte es nicht langsamer gehen können, weil die Ungeduld in vier Jahrzehnten auf beiden Seiten zu groß geworden war, als dass man den Prozess hätte bremsen können. Heute nach 25 Jahren sind wir reifer, erfahrener und wissen inzwischen, wo wir Fehler gemacht haben.

»Das Dritte Reich wirkt bis in die Gegenwart nach, obwohl es nur zwölf Jahre gedauert hat. Die DDR, der immerhin 40 Jahre beschieden waren, ist heute so fern, als hätte es nie gegeben.« Diese Worte aus der Süddeutschen Zeitung vom 1.9.2004 legen eine fast schon erschreckende Wahrheit frei. Denn ich möchte meine Vergangenheit weder totgeschwiegen wissen, noch auf wenige Begriffe, wie Stasi, Mauer oder Trabbi reduziert sehen. Meine Kindheit war mindestens genauso bunt, wie die meiner Freunde im westlichen Teil Deutschlands. Und hin und wieder erlebe ich in Gesprächen, dass meine skurrilen Erlebnisse mit dem »Arbeiter-und-Bauern-Staat« nicht nur meine Gesprächspartner in Erstaunen und Verwunderung versetzen, sondern auch mir plötzlich einen ganz neuen Blick auf meine Vergangenheit eröffnen.

Zwei mal überraschendes Finale

bellasTod_SonntagVor ein paar Tagen erzählte ich euphorisch von Georges Simenon. Meine Euphorie ist bis heute ungebrochen. Gestern beendete ich eine weitere Geschichte des genialen belgischen Schriftstellers.

Sowohl „Bellas Tod“ als auch „Sonntag“ handeln von Mord. Die eine von einem bereits Geschehenen und die andere von dessen Planung. Beide Geschichten sind in einem Taschenbuch zusammengefasst und alle zwei vereint die geschickte Erzählweise mit der Simenon den Leser ans Finale heranführt. In beiden Erzählungen steht ein Mann im Mittelpunkt der Handlung. In „Bellas Tod“ ist es ein Lehrer, in dessen Haus eine junge Frau ermordet wird und der mangels Alibi alsbald unter Tatverdacht steht. Sogar seine Frau beginnt, ihm zu misstrauen. Das geht soweit, dass er am Ende selbst an sich zweifelt und sein wahres Ich, dass er Jahrzehnte verborgen gehalten hat, plötzlich herausbricht.
„Sonntag“ erzählt dagegen das Leben eines Kochs, der vor ewigen Zeiten in eine Ehe eingewilligt hat, die ihn mehr und mehr zermürbt. Er versucht sich von den Fesseln seines tristen Daseins (in Form seiner Frau) zu befreien.
Während sich eine der Geschichten an der amerikanischen Ostküste abspielt, ist der Schauplatz von „Sonntag“ die Côte d’Azur. Der Autor beschreibt nicht nur die Szenerie so perfekt, dass man sich innerhalb eines Satzes sofort hineinversetzt fühlt. Nein, er weiß auch das Innenleben seiner Figur aufs Intimste zu beschreiben. Dabei wechselt er von der Gegenwart in die Vergangenheit und zurück, ohne das dies verwirrend oder störend wirkt. Besonders bei der Erzählung über den geplanten Mord, hat man von Anfang an Mitleid mit dem armen Mann und fiebert dem Ereignis genauso aufgeregt entgegen, wie der Protagonist selbst.

Was Simenons Geschichten besonders macht, ist ihr überraschende Ende. Er führt den Leser lange auf einer falschen Fährte, um ihm zuletzt vor vollendete Tatsachen zu stellen. So war ich bei beiden Geschichten am Ende völlig verblüfft. Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.
Der Autor ist ein Könner und ich kann inzwischen erahnen, warum er von vielen Autorenkollegen so geschätzt wird.

Noch ein Hinweis zu meiner Taschenbuchausgabe von 1987, die ist nämlich aus der DDR, vom Aufbau-Verlag. Witzig finde ich ja die Bemerkung: Ausgabe für die sozialistischen Länder mit Genehmigung des Diogenes Verlag AG, Zürich. Spannende Frage: Ob und wie sich wohl diese Ausgabe von der Original-Ausgabe unterscheidet?

Was heißt hier Gleichstellung?

Das erste Mal das ich mit dem Wort Gleichstellung konfrontiert wurde, war zu Beginn meines Studiums, als die Gleichstellungsbeauftragte der Uni alle neuen Studentinnen zu einem Treffen einlud. (Technische Universität – Wir waren nicht viele Frauen.) Dort fiel auch der Begriff „Gender“, mit dem ich anfangs so gar nichts anfangen konnte. Auch über das, was mir da erzählt wurde, runzelte ich irritiert die Stirn: Dass wir bereit sein müssten, uns durchzusetzen, dass wir aufpassen sollten, um nicht irgendwann an die gläserne Decke zu stoßen und das Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern jeden Tag neu erkämpft werden muss.

Ich fand das alles höchst seltsam, weil ich dachte, dass wir jene Dinge in unserer fortschrittlichen Gesellschaft doch schon längst erreicht hatten.
Ich wuchs in der DDR auf. Dort war Gleichstellung im Beruf und in der Familie keine Frage. Frauen konnten die gleichen Berufe ergreifen wie Männer und umgekehrt. So gab es in vielen Betrieben Kranführerinnen oder im Stahlwerk sogar Metallurginnen. Meine Mutter war Leiterin eines Sportartikel-Geschäftes bevor sie später einen ruhigeren Bürojob annahm. Sie hat sich immer über die westdeutschen Frauen im Fernsehen aufgeregt, wenn diese sagten: Sie wären von Beruf Hausfrau. Hausfrauen waren die meisten ostdeutschen Frauen neben ihrem Beruf und keiner hat sich daran gestört, weder die Männer noch die Frauen selbst. Es war selbstverständlich das eine Frau in der DDR einer Arbeit nachging und genauso dafür bezahlt wurde wie ein Mann. Im Gegenteil, man fiel auf, wenn man es nicht tat und zu Hause blieb.

Genau deshalb hatte ich ein Problem damit, die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft als etwas Besonderes zu sehen. Ich vertraute auf meinen gesunden Menschenverstand und darauf, dass wir alle moderne aufgeklärte Menschen seien. Wie fehlerhaft diese Einschätzung war, wurde mir erst sehr viel später klar. Spätestens als man mich nach dem Studium ins harte Berufsleben entließ. In einer von Männern dominierten Branche, wurde ich plötzlich mit Vorurteilen konfrontiert, die ich kaum fassen konnte: Ich hätte das falsche Geschlecht, wurde mir immer wieder gesagt und das man es sich nicht leisten könne, eine Ingenieurin zu beschäftigen. Irgendwann stand ich vor der Frage arbeitslos oder selbstständig. Ich wählte letztere Option, weil ich etwas arbeiten und nicht vom Almosen anderer leben wollte und bisher läuft das ganz gut.

Nach den vielen Jahren in denen ich im Job mal mit Männern und mal mit Frauen zu tun gehabt habe, stelle ich immer wieder fest, wie sehr sich die Teamarbeit mit Männern von denen mit Frauen unterscheidet. Wenn man lange genug mit Männern zusammenarbeitet wird man irgendwann wie ihresgleichen behandelt. Das finde ich völlig in Ordnung. Zeigt es mir doch, dass ich wirklich gleichgestellt bin. Da mögen normale Frauen vielleicht die Nase rümpfen, wenn die Kollegen mal wieder mit einer blöden Bemerkung daherkommen oder versaute Witze erzählen. Ich mag das, weil es mir das Gefühl gibt, dazuzugehören – eine von ihnen zu sein. Ich will nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, nur weil ich eine Frau bin. Dazu gehört halt manchmal auch ein rüder Ton oder das man sich die Dinge offen ins Gesicht sagt.
Aber dies ist genau das, womit viele Frauen ein Problem zu haben scheinen. Da wurde mir unlängst vorgeworfen, das Frauenbild in meinem FanEdition-Roman sei menschenverachtend. Als Beispiel nannte die Kritikerin die Szene als Perry Rhodan Anne Sloane befiehlt, sie solle dich erst einmal duschen, nachdem die mehrere Tage lang ohne hinreichende hygienischen Einrichtungen auskommen musste. Hey, wenn er das zu einem männlichen Offizier gesagt hätte, hätte das niemanden gestört.

Ich glaube ja, dass die Frauen, die am lautesten nach Gleichstellung schreien, diejenigen sind, die sich am meisten darüber aufregen, wenn ihnen kein Mann hilft, dass Gepäck aus dem Zug zu heben oder die Tür aufhält.

Aufbruch und Niedergang – zwischen Punkrock, Antifa und Naziterror

Quelle: Amazon

„89/90“ von Peter Richter, erschienen im Luchterhand-Literaturverlag.

Noch nie habe ich mich einer Zielgruppe so zugehörig gefühlt, wie beim Lesen dieses Romans. Der Autor und ich hätten in eine Klasse gehen können. Vieles, was er beschreibt, habe ich wie so viele meines Jahrgangs eins zu eins so erlebt.  Es ist genau das Buch, was ich immer schreiben wollte.

Peter Richters autobiographischer Roman dokumentiert die letzten Monate der DDR aus der Sicht eines Jugendlichen und das wie ich finde sehr authentisch. Denn, was ist das Leben schon außer Alltag: Da fällt die Mauer und am nächsten Tag erwartet einen in der Schule eine Leistungskontrolle in Mathe. Genauso war es. Da brechen beim Lesen die vielen großen und kleinen Erinnerungen auf, an eine Zeit die unglaubliche 25 Jahre zurückliegt. Und es fühlt sich wieder an, als wäre es gestern gewesen. So als wäre ich noch die Fünfzehnjährige in pinkfarbenen Karottenhosen mit blonden Dauergewellten Haaren, die Freitag abends mit dem Kassettenrekorder die Songs aus der Hitparade auf Bayern 3 aufnimmt; die zu „Dirty Dancing“ ins Kino rennt und durch einen glücklichen Umstand (Bänderzerrung am Sprunggelenk) um den Zivilverteidigungskurs an der Schule herumkommt. So bescherte mir „89/90“ ein ganz besonderes Kopfkino.

Doch das Buch ist weit mehr. Peter Richter vermittelt Geschichte aus einer individuellen aber treffenden Sicht und liefert klar und überzeugend Hinweise auf die Entstehung des Neofaschismus im Osten. Man versteht plötzlich warum es so kam und kommen musste. Er beschreibt die Anarchie, die nach dem 9. November 1989 in fast allen Bereichen der Gesellschaft herrschte. Die Machtlosigkeit mit der Behörden und Institutionen agierten, hilflos zusahen wie Menschenrechte untergraben wurden. Wie Geschäftemacher ihre Chancen ergriffen, wie warnende Stimmen überhört und eine ganze Gesellschaftsordnung von heute auf morgen einfach ersatzlos außer Kraft gesetzt wurde.

Die Darstellung des Autors, wie sich ein Land und seine Menschen innerhalb von Monaten völlig veränderten, ist so glaubwürdig geschrieben, dass einem heute davor schaudert. Dabei bedient er sich der Sprache der Jugend, schlicht und unmissverständlich – mit dem leicht arroganten Beiklang eines jungen Menschen, der glaubt, dass die Welt auf ihn gewartet hat. Aber genau das macht den Reiz der Geschichte aus. Auch wenn am Beginn des Buches steht, dass die handelnden Figuren reine Fiktion sind, so weiß man doch aus eigener Erfahrung, dass es den S. oder die L. so oder ähnlich gegeben hat. Und hier kommen wir zu dem einzigen Punkt, den ich kritisieren muss. Das Stilmittel des Autors, anstatt der Namen nur die Abkürzung derer zu verwenden, finde ich ein wenig störend. Da kommt man bei der Länge des Romans mit immerhin 412 Seiten oftmals ins Schleudern, wenn man sich fragen muss: Wer war nochmal der K.?

Ja, wir waren der letzte Jahrgang, der noch alles mitmachen durfte – damals in der DDR. Aber wir waren auch der erste Jahrgang, dem nach der Wende die Welt offen stand – wenn man es zu nutzen wusste.

Fazit: Ein lesenswertes Buch nicht nur für „Betroffene“ wie mich, sondern auch für die, die wissen wollen, wie es wirklich war als Jugendlicher in der dahinscheidenden DDR. Allein mit den vielen Fußnoten in Peter Richters Roman könnte man ein ganzes Geschichtsbuch füllen, dass alles andere als langweilig wäre. Ach ja, nebenher erfährt man auch einiges über Punkrock im Osten.

Grotesker Sprachtest

In dieser Woche habe ich mit meinen Kollegen einen lustigen Sprachtest veranstaltet. Eigentlich ist der Test erst richtig interessant, wenn man die Leute nicht kennt, aber trotzdem … Es geht darum herauszufinden, wer aus dem Osten Deutschlands kommt und wer in Westdeutschland aufgewachsen ist. Festmachen kann man das sehr leicht an der Aussprache zweier Wörter, nämlich: Dynamo und Konsum.

Ein Westdeutscher wird das Wort Dynamo mit der Betonung auf dem y aussprechen und meint damit das Gerät zur Stromerzeugung am Fahrrad.
Währenddessen ein Ostdeutscher das a betonen wird und bei dem Namen eher diverse Sportclubs im Hinterkopf hat. So hießen nämlich die den Sicherheitskräften zugehörigen Vereine in der DDR, wie z. B. Dynamo Dresden.

Bei Konsum ist das ähnlich; ein Ostdeutscher betont das o und denkt an den Lebensmittelladen um die Ecke, ein Westdeutscher denkt eher an Verbrauch und betont das u.

So lassen sich anhand von zwei Wörtern ganze Bevölkerungsschichten kategorisieren. Seltsam!
Ich gebe zu, die Idee ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich habe sie aus einem sehr interessanten Buch, welches ich gerade lese und das ich, wenn ich durch bin, auch hier besprechen werde. Bis dahin erfreue ich mich an solch skurrilen Inhalten.

Demo zum 1.Mai

Wenn wir früher in der DDR am 1. Mai zur Demo antreten mussten, war das meistens nervig, weil wir ja gar nicht wussten, wofür wir da demonstrierten. Heute ist das anders, da werden einem die Gründe freihaus geliefert. Sie nennen sich Pegida oder in diesem Fall „3.Weg“.

Morgen ist 1. Mai und in Saalfeld großer Naziaufmarsch.

Zum Glück gibt es einige geplante Gegenveranstaltungen. Die Antifa macht Werbung mit einem YouTube-Video und zahlt jedem Teilnehmer 25 Euro. Die Stadt wird von der Bundespolizei belagert, der heutige Markt wurde in die Fußgängerzone verlegt. Bereits am Abend findet eine „Nachttanzdemo“ mit angeschlossener „Schlafplatzbörse“ statt, damit die Nazis gleich morgen früh um 9 Uhr am Bahnhof in Empfang genommen werden können. Ob es unter den Bedingungen in diesem Jahr einen Maibaum geben wird, weiß ich nicht. Ist aber eher unwahrscheinlich, weil auch so in den letzten Jahren Maibäume in der Gegend oft genug über Nacht in kleine Stücke zersägt wurden. Meine Eltern sind schon seit Tagen in Sorge und wie viele andere Einwohner verunsichert. Und alle fragen sich, warum man solche Aufmärsche nicht einfach verbietet und die dahinterstehenden Parteien gleich mit.

Wie das alles enden wird, ist fraglich. Bei solchen Veranstaltungen kam es in den letzten Jahren meist zu tätlichen Auseinandersetzungen und entsprechenden Schäden an Mensch und Material. Das finde ich alles ziemlich scheiße, vorallem weil ich nicht selbst vor Ort bin.

Ostpunk! – too much future

OstpunkAm Wochenende guckte ich mir eine sehr interessante Dokumentation auf DVD an. Darin ging es um die Punk-Szene in der DDR. Da ich damals noch etwas zu jung und zu artig war, ist das Phänomen leider an mir vorbeigegangen. Schade, wie ich heute finde. Deshalb war es für mich sehr faszinierend zu hören, was die sechs Zeitzeugen so zu sagen hatten.

Die Hauptpersonen der Dokumentation waren ausnahmslos Mitglieder in populären Punkbands der DDR. Sie gehörten quasi zu den Machern des ostdeutschen Punk. Einige waren damals noch nicht mal volljährig. Sie erzählten von illegalen Konzerten und improvisierten Probenräumen, vom Aufwand, den sie für ihr Outfit betrieben, von echten und falschen Punks und von der Cliquenbildung. Immer wieder schimmerte dabei ihr Wunsch nach Freiheit und Auflehnung heraus, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl und ihr Hunger nach Beachtung.

In einer Mischung aus Fotos, Interviews und originalen Filmaufnahmen (Super8) zeichnet der Streifen ein sehr authentisches Bild der sechs Einzelschicksale. Der Zuschauer erfährt wie junge Menschen von damals von der Bewegung erfasst und verändert wurden, aber auch was später aus ihnen geworden ist. Nicht alle haben die Verfolgung durch die Schergen des DDR-Regimes unbeschadet überstanden. Da ist so manche Narbe in den Seelen zurückgeblieben.

Der Film vermittelt viele Informationen. Was mir beispielsweise nicht klar war, ist die Tatsache, dass die Punk-Szene nach 1983 in der DDR radikal bekämpft, unterwandert und so eigentlich zerschlagen wurde. Das ihre „Anführer“ bzw. die, die als Vorbilder für andere dienten, bespitzelt, inhaftiert und bereits Mitte der achtziger Jahre in den Westen abgeschoben wurden. So gesehen hat es sich der Staat schon extrem leicht gemacht. Leider endet der Film an dieser Stelle.

Was mich aber noch interessiert hätte: Wie ging es für die weiter, die geblieben sind? Wie „überlebten“ sie und wie verkrafteten sie die Wende und den Wegfall ihres eigentlichen Feindbildes „DDR“?  Dazu liefert der Film leider keine Antworten.

Was ich ja sehr bemerkenswert finde, ist, was aus den meisten Punks von damals wurde. Und das bezieht sich jetzt nicht nur auf die Zeitzeugen aus dem Film, sondern auch auf deren Macher und dem was ich bisher so gelesen habe. Viele „ehemalige“ Punks sind heute Künstler; egal ob Autor, Maler oder Musiker, keiner ist so richtig spießig geworden, und jeder hat einen Weg gefunden, das Lebensgefühl von damals in sein Leben zu integrieren. Bewundernswert!

Die Dokumentation aus dem Jahre 2008 ist durch die Musik und das vermittelte Gefühl schlichtweg zeitlos. Ein sehr schön gemachtes, sehr gefühlvolles Zeitdokument.

Wer gern mal reinschauen möchte, Ausschnitte davon gibt es bei YouTube.

Die etwas andere Biografie

Brussig_RussenfilmWenn ein Autor ein Buch über sich selbst schreibt, nennt man das zumeist Autobiografie. Was aber Thomas Brussig über Thomas Brussig schreibt, ist …
Nun ja, ich bin mir noch nicht sicher, als was ich es bezeichnen soll. Es ist ein Roman und es ist eine Biografie, aber eine die in einer Parallelwelt spielt und nie wirklich stattgefunden hat. Es kommen viele existierende Persönlichkeiten darin vor, es wird von realen Ereignissen erzählt, die tatsächlich passiert sind und doch bleibt der Hintergrund ein irrealer. Brussig zeichnet ein Bild von einer DDR, die nie die Wende erlebt hat. Es gab keine Montagsdemos, keinen Mauerfall und keine Wiedervereinigung. Dabei bleibt er stets bei sich selbst, erzählt von sich und seinen fiktiven Erlebnissen mit den Organen des Arbeiter- und Bauernstaates aber auch aus seiner Warte als Autor, seinen Schreibproblemen, seinen Wünschen und Fantasien.

Je weiter man in den Roman hineinliest, desto mehr verändert er sich. Die Geschichte gleicht einer Zwiebel die man entblättert und je mehr Schichten fallen, umso näher gelangt man dem Kern. Was als lustige Erinnerung beginnt, entwickelt sich mit Fortschreiten des Romans zu einer bitteren Karikatur eines Staates, der sich selbst zu ernst nimmt, und in dem es darum geht durch Anpassung zu überleben. Thomas Brussig will sich aber nicht anpassen und schlittert von einer Katastrophe in die nächste. Sein zähes Ringen mit der Literatur und ihren Repräsentanten sowie den Machenschaften von Stasi und Co liest sich im Mittelteil des Buches ebenso zäh wie es der Autor empfindet. Besonders bitter, es trifft nicht nur ihn, sondern vor allem sein Umfeld. Personen, die sich mit ihm abgeben, bekommen die Macht des Staatsapparates mehr zu spüren als er selbst. Situationen in denen trotz der augenzwinkernden Erzählweise, dem Leser das Lachen im Halse steckenbleibt.

Später ist der Text plötzlich sehr zeitkritisch und hinterfragt auch die schöne Glitzerwelt des Kapitalismus mit aufrichtiger Ernsthaftigkeit. Am Ende spürt man die Hoffnungslosigkeit Brussigs, dass sich doch nie etwas ändern wird, auch wenn sich alles in seiner fiktiven DDR geändert hat.

Was ist dieses Buch? Als Satire möchte ich eigentlich nicht bezeichnen. Ist es eine Biografie, eine Tragikomödie oder gar ein Science Fiction-Roman? Das sind Fragen die sich viele Leser am Ende stellen werden. Und es scheint, als wäre es ein bisschen von allem, nur eines ist es sicher nicht: Leicht! Viele der Gedanken sind nur schwer verdaulich, weil sie trotz Fiktion der Wahrheit ganz nahe kommen.
Es ist vor allem eines – ein Buch übers Schreiben. Als angehende Autorin konnte ich dem Roman viele wertvolle Gedanken entnehmen. Doch ich fürchte, dass gerade das einen Erfolg bei einer nichtschreibenden Leserschaft verhindern wird. Ich glaube, dass es für Menschen, die sich nicht mit dem Schreiben beschäftigen, stellenweise einfach nicht interessant genug ist, gerade im Mittelteil, in dem es fast ausschließlich um seine Karriere als Schriftsteller geht.
Dafür, dass er viele realexistierende Personen agieren lässt, bewundere ich seinen Mut. Ich hätte das nie gewagt. Doch wahrscheinlich muss man erst ein etablierter Autor sein, bevor man sich so etwas erlauben darf. Aber genau das könnte dem Roman zum Verhängnis werden. Die Zielgruppe wird stark eingegrenzt, weil man sich schon sehr genau in Politik und Literaturszene der vergangenen fünfundzwanzig Jahre auskennen muss, um all die Personen wiederzukennen, mit denen Thomas Brussig spielt. Einem jüngeren Leser könnte der Reiz daran abgehen, weil er mit vielen der Namen nichts anzufangen weiß. Auch die Vergangenheit der potentiellen Leser wird eine Rolle spielen. So gefällt mir die Geschichte des Romans, weil ich als Ostdeutsche viele Dinge aus meiner Vergangenheit wiedererkannt habe, die aber einem Westdeutschen manchmal etwas schräg vorkommen werden.

Brussigs Thema ist eines mit dem auch ich mich zumindest geistig schon beschäftig habe. Was wäre aus mir geworden wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte? Wo hätte ich Stellung bezogen? Was für eine Person wäre ich heute? Die tiefgründige Auseinandersetzung Brussigs mit sich selbst und diesen Fragen erinnert mich daran, wie dankbar ich sein muss, dass ich die DDR nicht als Erwachsener erleben musste.

Mein Fazit: Ein ungewöhnliches Buch mit einer Vielzahl erstaunlicher Gedanken, von denen ich mir einige notieren werde, wenn ich es ein zweites Mal lese.

Mein Leben in Utopia

Das ich älter werde, merke ich vor allem daran, dass ich mich in letzter Zeit häufiger mit meiner Vergangenheit auseinandersetze. Dabei rede ich von den ersten 15 Jahren meines Lebens, in denen ich in der DDR aufwuchs.
Mit 30 wollte ich mal ein Buch schreiben mit dem schlauen Titel: „Mein Leben in Utopia – der Sozialismus aus der Sicht seiner letzten Generation“. Aber je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass mir das gar nicht zusteht, weil ich eigentlich nur die „Sonnenseite“ der DDR erlebt habe, sofern man das so ausdrücken kann. Ich hatte eine glückliche Kindheit ohne Entbehrungen und das Glück nie mit den exekutiven Organen des Arbeiter- und Bauernstaates in Berührung zu kommen. Vielleicht lag das an meiner Angepasstheit oder war einfach nur meiner Jugend geschuldet. Ich habe die DDR nie als Erwachsener erlebt, bekam keine Repressalien zu spüren oder wurde an etwas gehindert. Da verschiebt sich schon mal die Perspektive.
Es gibt Leute die es aufregt, wenn man sagt: „… das in der DDR doch nicht alles schlecht war.“ Ich für meinen Teil kann Letzteres nur bestätigen, eben weil ich es nicht besser weiß. Aus meiner eigenen subjektiven Sicht führte ich ein normales Leben ohne Höhen oder Tiefen. Sicher hatte auch ich Wünsche und Träume; so wollte immer mal nach Paris reisen. Und was soll ich sagen, ich habe es in den 25 Jahren seit dem Mauerfall bisher nie geschafft, der französischen Hauptstadt einen Besuch abzustatten. Inzwischen reizt es mich nicht mehr, wenn ich an die vielen Touristen denke, um die ich schon in München einen großen Bogen mache. Das eigene Weltbild verändert sich eben.
Was ich sagen will ist, dass ich mich angesichts meiner Vergangenheit etwas hilflos fühle. Gerade wenn ich mir solche Filme wie „Bornholmer Strasse“ ansehe oder Berichte von Menschen lese, in denen es um Unterdrückung und Verfolgung durch die Staatssicherheit der DDR geht.

Heute traue mich nicht mehr über meine Vergangenheit zu urteilen, weil sie nicht die Vergangenheit von anderen widerspiegelt. Was aus mir geworden wäre, wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte, daran mag ich gar nicht denken. Die Antwort darauf, ob ich der gleiche Mensch wäre, der ich heute bin, wäre zu schmerzhaft und mehr als beängstigend.

Outfit der Achtziger

Beim Stöbern in alten Fotoalben stieß ich unlängst auf Aufnahmen von mir, aus den Achtzigern. Es ist schon erstaunlich, was man damals so alles getragen hat.

Zu jener Zeit besaß ich eine einzige Jeans, die mir mal Bekannte aus dem Westen geschickt hatten. Es war eine echte „Levis“. Sie war schon ziemlich ausgeblichen und die Beine viel zu lang, für mich aber war sie das Größte. Meist trug ich sie in Kombination mit den alten Fleischerhemden meines Großvaters (Stehkragen war zu dieser Zeit absolut IN.) und einem breiten selbstgemachten Nietengürtel, der inzwischen vielleicht noch um einen meiner Oberschenkel passt. (Ich war ein ziemlich dürrer Teenager.)
Ich kann mich auch an eine Jacke erinnert, die ich aus braunem Velours und hellblauem Baumwollstoff selbstgenäht habe. Leider konnte man sie nicht waschen und so landete sie irgendwann im Altkleidercontainer.

1988 zu meiner Konfirmation schickte meine Tante aus dem Westen Kleiderstoff. Meine Mutter ging dann mit mir zu einer Schneiderin, die einen Hosenanzug und einen Rock für mich nähte. In grellem Pink mit löchrigen Ärmeln und dem kurzen Rock sehe ich auf dem Konfirmandenfoto aus wie ein bunter Hund. Doch wenn man nicht gerade ein Grufti war, trug man das damals so. Später hatte ich auch noch eine Dauerwelle, um das Achtziger Outfit zu komplettieren.

Heute ist das für mich unvorstellbar lange her, aber natürlich habe ich die passenden Beweisfotos zur Hand.

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