TEXTAUSZUG:
Textprobe Buch 2: "Wiederbegegnung"
Epilog
Die Fackeln verbreiteten lautlos ihre flackernde Helligkeit in den schmalen Gängen und ließen die Gestalt des Gedankenmeisters bedrohlich dunkle Schatten werfen. Sodan ging mit großen Schritten voraus um sie in einen Teil von Gol zu führen, den sie noch nie betreten hatte. Der Gang verbreiterte sich plötzlich und wies an beiden Seiten dunkle Kammern auf. Die „Zellen der Ruhelosen“ wie mancher Bewohner Gols sie nannte. Hier wurden die Meister und Adepten untergebracht, um die Zeit des Pon Farr nur durch die Disziplin ihres Geistes zu überwinden. Sie wusste, dass einige von ihren Emotionen besiegt, diese Zellen nicht mehr lebend verlassen hatten. Doch heute war nur eine dieser Kammern besetzt und sein Bewohner litt nicht am Blutfieber.
Warmes helles Licht strahlte aus dem stillen Raum in den halbdunklen Gang hinaus. Es hatte etwas Magisches, dachte sie, als sie Sodan folgte und kurz vor dem Licht innehielt. Der Gedankenmeister trat in den Lichtkegel der Zellenbeleuchtung, die zu ihrer Überraschung nicht aus Fackeln bestand. Kleine Leuchtelemente in der Decke sorgten für sanftes beruhigendes Licht. Die Zellentür dagegen war ein Relikt aus einer viel früheren Zeit. Schwarze Metallstäbe, die ein schlichtes Muster bildeten und fest in den Mauern verankert waren. Sie bedauerte, dass diese Sicherungsmaßnahme notwendig war. Doch das, was Sodan ihr erzählt hatte, berichtete nichts Gutes über den Insassen.
„Silas!“ Die Stimme des Gedankenmeisters war laut und scharf.
„Seid ihr endlich gekommen um mich freizulassen?“ Die Antwort aus dem Inneren der Zelle klang sowohl arrogant als auch gefährlich. Der Mann selbst lag gelassen auf einem Felssims, der wie in allen Räumen in Gol als Bett diente.
„Nein!“, antwortete Sodan resolut. „Ich bin gekommen um dir zu sagen, dass die Meister beschlossen haben, dir eine letzte Chance einzuräumen...“
„Was denn, noch mehr Meditationsübungen und noch mehr Gefasel über Logik und emotionale Kontrolle“, unterbrach ihn der Zelleninsasse gelangweilt.
Sie sah ihn nicht, aber sie spürte die aufgewühlten Emotionen, die von ihm ausgingen und ein fast zerstörerisches Ausmaß zu haben schienen.
„...dir wird ein neuer Mentor zugeteilt“, erklärte Sodan unbeeindruckt weiter.
„Ach“, machte der Mann in der Zelle, „schon wieder einer dieser alten Männer, die glauben, dass ich ihre dummen Spielchen mitmachen werde. Was soll das? Ich habe niemanden darum gebeten mich hierher zu bringen. Ich will hier raus und mein Leben so fortsetzen, wie ich will.“
„Das wirst du erst tun können, wenn du deinen Geist diszipliniert hast.“
„Warum zum Teufel!“ fauchte der Mann, sprang auf und warf sich an die Gitterstäbe.
„Du bist Vulkanier!“, formulierte der Gedankenmeister schlicht.
„Ich pfeife darauf!“, entgegnete der Vulkanier und spuckte vor dem Gedankenmeister auf den Boden, bevor er sich angewidert abwandte.
Es war nun für sie an der Zeit, Sodans Anliegen zu unterstützen. Sie trat aus dem Dunkel ins Licht, um für den Mann in der Zelle sichtbar zu werden. „Dann wirst du für immer hier bleiben müssen.“ Sie wusste, dass das keine hohle Drohung war. Silas, der Zelleninsasse, hob überrascht den Kopf und drehte sich blitzschnell zu ihr um. In seinen Augen funkelte es und sie begriff, dass Sodan nicht ganz offen zu ihr gewesen war. Dieser Mann war für vulkanische Begriffe zwar noch recht jung, jedoch nicht mehr in einem Alter, in dem eine Disziplinierung des Geistes noch erfolgsversprechend erschien.
„Du bist ein Mensch!“, registrierte er erstaunt, als er sie sah und eilte zurück an die Gitterstäbe.
Dabei hatte sie das Gefühl, zum ersten Mal so etwas wie ein positives Gefühl von ihm zu empfangen.
Er wartete ihre Reaktion auf seine Bemerkung nicht ab. „Hält man dich auch hier gefangen?“
„Nein, ich bin freiwillig hier. Die Meister haben mich gebeten dir die mentalen Disziplinen zu lehren, die notwendig sind um deine Emotionen zu unterdrücken.“
„Ich will nichts unterdrücken?“, erwiderte er scharf und umklammerte das Gitter.
„Das ist ein Fehler“, antwortete sie mit neutraler Stimme, „so wirst du dir und deiner Umwelt auf Dauer nur Schaden zufügen. Willst du das?“
Er senkte den Kopf, als wolle er darüber nachdenken. Plötzlich hob er ihn ruckartig und grinste sie mit grimassenhaft verzerrtem Gesicht an. „Schau mich an! Könnte ich jemandem Schaden zufügen?“, äußerte er in mitleidigem Tonfall.
„Wir werden sehen!“, antwortete sie unbeeindruckt. „Vorausgesetzt, du nimmst das Angebot an.“
„Und wenn ich es nicht tue?“ erwiderte er überheblich.
„Dann wirst du den Rest deines Lebens hier in Gol verbringen.“
Er blieb einen stillen Moment ernst, brach dann aber in lautes Lachen aus. „Ich kenne euch, ihr droht mir nur...“
„Wenn du meinst“, unterbrach sie ihn ernst. „Ich werde meine Zeit nicht für jemanden opfern, der nicht bereit ist, Einsicht zu zeigen.“ Damit kehrte sie ihm den Rücken und ging den dunklen Korridor zurück.
Der Gedankenmeister vor der Zelle warf einen letzten Blick auf den Insassen, bevor er sich ebenfalls abwandte.
Silas wartete darauf, dass sie bald zurückkommen und ihn erneut zur Zusammenarbeit auffordern würden. Doch sie kamen nicht zurück. Tage später begann ihm langsam bewusst zu werden, dass er durch seine sinnlose Rebellion wahrscheinlich die letzte Chance auf ein eigenes Leben vergeben hatte. Da klammerte er sich an die Gitterstäbe der Zellentür und schrie flehend: „Kommt zurück! Bitte kommt zurück.“ Doch seine Rufe verhallten ungehört im Felsgestein...