Seit einigen Wochen mache ich mir immer wieder Gedanken über Arbeit und darüber, wie sich meine Sicht aufs Arbeiten von der meiner jungen Kollegen unterscheidet.
Arbeiten zu dürfen oder eine Arbeitsstelle zu haben, war für mich immer ein Privileg. Ich habe immer darum kämpfen und dabei viele Niederlagen einstecken müssen. Ich gehöre zur »Generation Praktikum«, der Generation für die ein Job nie nur ein Job war, sondern Sicherheit und Unabhängigkeit bedeutete, etwas das in den Neunziger und Zweitausendern auf dem Arbeitsmarkt sehr selten war. Mit entsprechendem Enthusiasmus hat man sich seinen Aufgaben hingegeben und fast alles getan um den Job behalten zu dürfen.
Nach der Wende Anfang der Neunziger brach im Osten der Arbeitsmarkt komplett zusammen und damit meine ich wirklich komplett. Er war einfach nicht mehr existent und das schon wenige Wochen nach der Währungsunion. Der Betrieb in dem meine Eltern beide arbeiteten wurde »abgewickelt« wie es so schön hieß. Zuerst traf es meine Mutter, wenige Wochen später, nachdem jede Maschine verschrottet und die Gebäude leergeräumt waren auch meinen Vater. Beide waren damals in den Fünfzigern, also zu jung für die Rente und zu alt zum arbeiten. Mein Vater ging trotz körperlicher Beschwerden für kurze Zeit wieder auf den Bau (im neu gegründeten Handwerksbetrieb seines ehemaligen Azubis) meine Mutter machte eine vom Arbeitsamt bezahlte Umschulung zur EDV-Fachkraft. Ich ging aufs Gymnasium und bekam damit noch zwei Jahre Gnadenfrist.
Zwei Jahre später sah die Situation aber noch viel düsterer aus. Im ganzen Landkreis gab es kaum Stellen geschweige denn genügend Ausbildungsplätze. Ich war gezwungen 100 Kilometer weit weg nach Bayern zu gehen. Den Ausbildungsplatz bekam ich auch nur, weil meine Eltern jemanden kannten, der jemanden kannte …
Meine Mutter blieb trotz Umschulung bis zu ihrer Rente arbeitslos, mein Vater hatte das Glück, dass man ihm nach kurzer Arbeitslosigkeit mit 57 die Frühverrentung anbot. Ich hätte nach meiner Lehre zwar in dem Betrieb bleiben können, aber wegen betrieblicher Veränderungen (die Produktion wurde teilweise nach Tschechien ausgelagert) zu deutlich schlechteren Konditionen, als meine Kollegen, die in den Jahren zuvor ausgelernt hatten. Da ich ohnehin studieren wollte, war mir das egal.
Während des Studiums half ich meiner Mutter beim Regale einräumen im Supermarkt. Sie hatte sich den Minijob selbst gesucht, weil sie weder Geld vom Arbeitsamt noch Jobangebote bekam. Dafür bekam ich den vollen Bafög-Satz.
Nach dem Studium hatte ich wieder Mühe eine Arbeitsstelle zu finden und das, obwohl ich inzwischen einen Ingenieurtitel besaß. Hatte man uns im Studium noch versprochen, dass wir gesucht würden und uns die Jobs raussuchen könnten, spürte ich davon nicht viel. Vielleicht lag es daran, dass ich eine Frau war. Die Begründung der Ablehnung meiner Bewerbung waren immer dieselben, überqualifiziert, zu wenig Berufserfahrung, Anstellung nur als Freier Mitarbeiter bzw. die ersten Monate ohne Bezahlung, falsches Geschlecht, falsche Religion oder an der falschen Uni studiert. Mit Mühe und Not und nach unzähligen Bewerbungen bekam ich einen Praktikumsplatz. Sechs Monate später endlich einen Vertrag über eine Festanstellung und zwei Monate später nach dem am 11.9.2001 die Welt erschüttert worden war und die Medienkrise rund um Kirch und Co in München einleitete, erhielt ich die betriebsbedingte Kündigung.
Die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle begann von vorn und der Mitarbeiter beim Arbeitsamt machte mir wenig Hoffnung. Dabei war Arbeit da. Die Firma für die ich gearbeitet hatte, bot mir an dort stundenweise während meiner Arbeitslosigkeit zu arbeiten. Ich verdiente umgerechnet 5 Euro am Tag und hatte eine 40 Stundenwoche. Dafür versprachen man mir am Ende des Jahres eine Festanstellung, doch dann entschied man sich für einen männlichen Diplomanden statt für mich.
Ich wurde vor die Wahl gestellt: arbeitslos oder selbständig! Ich entschied mich für Letzteres. Mit 28 Jahren gründete ich meine ganz private Zeitarbeitsagentur und vermietete mich an Firmen in und um München. Das funktionierte 15 Jahre lang gut. Doch nach dem Umzug nach Waging, ging die Suche nach einer Arbeitsstelle in der Nähe weiter. Viele Bewerbungen, wenig Vorstellungsgespräche und nur Absagen. Die Gründe dieses Mal: überqualifiziert, Zickzack-Lebenslauf und die Befürchtung ich wäre wegen meiner Selbständigkeit nicht teamfähig.
Das ich 2017 dann doch fündig wurde, habe ich meinem Chef zu verdanken, der mir damals als einziger eine Chance gab, obwohl ich nicht aus der Branche kam und kaum Ahnung von den Abläufen im Handwerk hatte.
Die Jugend von heute stellt Forderungen an ihre Arbeitgeber, die zu meiner Zeit absurd gewesen wären, die heute aber wegen des eklatanten Fachkräftemangels akzeptiert werden. Das grenzt teilweise schon an Erpressung, was da mitunter abläuft. Dabei ist die Einstellung in der »Generation Z« verbreitet, dass ein Job nur dazu da ist, um am Ende des Monats Geld auf dem Konto zu haben. So wird teilweise ohne Verstand vor sich hin gearbeitet, nur damit man am Ende des Tages sagen kann, man hat irgendetwas getan. Wie oder was – das scheint völlig nebensächlich zu sein. Arbeit ist ein lästiges Übel, das die Freizeit unterbricht. Sie scheint keinen weiteren Wert mehr zu haben, als den Lohn, den man dafür bekommt. Eine fatale und auch traurige Entwicklung, die dazu führt, das Qualität und Quantität leiden und keiner mehr arbeiten will, als er muss.
Ich glaube, irgendwann bekommen auch die Jungen die Quittung dafür. Bis dahin werden wir uns auf schwierige Zeiten einstellen müssen.
Für mich ist und bleibt Arbeit ein Privileg. Es bedeutet für mich Verantwortung dafür zu übernehmen, was ich tue und das Bestmögliche zu geben, egal wie schlecht die Situation gerade ist und wie widrig die Umstände. So bin ich das gewohnt und so wird es auch bleiben.