Gestern habe Abend habe ich eine Bildungslücke stopfen können. Im Bayrischen Fernsehen lief der Film »Die Reifeprüfung« mit Dustin Hoffman. Man hat ja schon viel von dem Film gehört und ich habe auch die moderne Fortsetzung »Wo die Liebe hinfällt« gesehen, aber noch nie das Original.
Für heutige Verhältnisse ist der Film träge und wenig spektakulär. Damals muss er ziemlich eingeschlagen haben. Allein das Thema, in dem das Verhältnis eines jungen Mannes zu einer ältere verheirateten Frau gezeigt wird, war Ende der Sechziger ein echter Tabubruch. Als Actionverwöhnter Zuschauer des einundzwanzigsten Jahrhunderts muss man jedoch sehr viel Geduld aufbringen. Der Film erzeugt Spannung aus seiner Langsamkeit. Die Einstellungen sind lang und behäbig. Es gibt viele Nahaufnahmen und wenig Totale, was den Zuschauer zwingt seine eigene Fantasie einzusetzen. Die sparsamen Dialoge wirken eher emotionslos und reißen die dahintersteckende Thematik nur an. Niemand würde heutzutage noch so erzählen, geschweige denn einen Film drehen. Es gehört einiges dazu, sich auf den Film einzulassen. Ja, er ist zurecht ein Klassiker und das nicht nur wegen des Themas, sondern auch wegen der unsterblichen Musik von Simon & Garfunkel. (Der Ohrwurm »The sound of silence« spukt mir heute immer noch im Kopf herum.) Angeblich gibt es im Original auch einen Sprecher aus dem Off, der ähnlich wie bei einem Dokumentarfilm die Handlung erklärt. Bei der deutschen Fassung hat man das zum Glück weggelassen.
Das absolute Aha-Erlebnis hatte ich aber beim Anblick des jungen Dustin Hoffman, der im Film einen zwanzigjährigen spielt, obwohl er zu dem Zeitpunkt bereits dreißig war. Ich weiß jetzt, warum man ihn für die Rolle in »Rainman« ausgesucht hat. Nicht nur weil er ein brillanter Schauspieler ist, sondern weil er eine verblüffende Ähnlichkeit mit Tom Cruise hat, der ja in »Rainman« seinen Bruder spielt. Sieht man sich Hoffman in »Die Reifeprüfung« an, so sieht man, vor allem im Profil, einen jungen Tom Cruise, besonders wenn er eine Sonnenbrille trägt. Das hat mich den ganzen Film über beschäftigt.
Ich dachte immer, »Die Reifeprüfung« wäre eine Komödie. Dem ist aber überhaupt nicht so. Der Streifen ist ein echtes Drama, dass die Perspektivlosigkeit der Jugend und das erstarrte Leben einer Frau in einer konservativen Gesellschaft zeigt.
Der Film hat seinerzeit vor allem mit Godard’schen jump cuts irritiert, was bis dahin als technisch schlechter Stil und verpönt galt. Rein artistisch also ein wegweisender Film. Heute ist das üblich.
Und nein, im Original gibt’s keine OFF-Stimme. Wer erzählt so einen Quatsch?
Da sieht man mal wieder, was in der Wikipedia für Schmarrn steht.
Danke!
Das Aquarium- und Wassermotiv findet sich in ähnlich zentraler Rolle in der Romeo-and-Juliet-Verfilmung mit Leonardo di Caprio wieder. Allein aus diesem Grunde lohnt es sich, beide Filme hintereinander zu gucken.
Zu Dustin Hoffmans Fähigkeit, in jeder Rolle vollständig aufzegehen,weiß ich wiederum keine Parallele. Unvergleichbar.