„Herzliches“ Willkommen

Seit ein paar Wochen bietet sich mir jeden Morgen, wenn mein Zug am Rosenheimer Bahnhof vorbeifährt, das gleiche verstörende Bild: Ein mit Absperrband abgetrennter Bahnsteig, Polizisten in schwarzen Schutzwesten, blaue Einsatzwagen und dazwischen wie Vieh zusammengepfercht, dünne ausgemergelte Gestalten. Meist Männer mit schwarzer Haut, manchmal junge kopftuchtragende Frauen mit kleinen Kindern oder arabisch aussehende junge Männer frierend in weiße Plastikdecken gehüllt – Flüchtlinge.

In Rosenheim halten die Nachtzüge aus Italien und dem Balkan das erste Mal auf deutschem Boden. Hier ist für die meisten Flüchtlinge Endstation. Sie werden generalstabsmäßig aus den Zügen geholt und müssen sich auf dem Treppenaufgang zum Bahnsteig sammeln.

Ich blicke aus dem Zugfenster und es ist als liefe dort ein schlechter Film, verstörend und surreal. Mit zunehmender Fassungslosigkeit beobachte ich, wie jeder einzeln aufgerufen wird und seinen Rucksack oder seine Tasche abgeben muss. Anschließend hat er die Taschen seiner Kleidung zu leeren. Die wenigen Habseligkeiten landen in einer transparenten Plastiktüte. Diejenigen die einen Gürtel tragen, werden aufgefordert ihn abzunehmen; auch er verschwindet in der Plastikhülle. Dann tritt er vor einen Tisch an dem zwei Beamte sitzen und auf dem sich Formulare stapeln. Eine junge Beamtin redet auf den Flüchtling ein. Es werden wenige hastige Worte gewechselt, ein anderer Beamter schreibt alles auf. Danach bekommt der Mann ein blaues Plastikarmband verpasst. Solche, die man von großen Veranstaltungen oder aus dem All-Inclusive Urlaub kennt. Dann wird er von ein oder zwei Polizeibeamten, die blauen Handschuhe tragen, abgeführt und hinter einem Polizeiwagen (manchmal auch schon an Ort und Stelle) abgetastet und systematisch durchsucht, bevor er zu der bereits abgefertigten Gruppe entlassen wird, die innerhalb eines abgesperrten Bereichs wartet. Die gesammelten Beutel mit den persönlichen Sachen landen in einer Plastikbox und werden von einem Polizeibeamten in eines der Einsatzfahrzeuge geladen.

Die morgendlichen Pendler stehen am Bahnsteig direkt daneben und steigen in den Zug ohne das Geschehen eines Blickes zu würdigen. Ich muss schlucken, habe plötzlich einen dicken Kloß im Hals und stelle mir vor, ich wäre einer der Flüchtlinge; heilfroh der Gewalt und der Verfolgung in meinem Heimatland entkommen zu sein, nur um dann so empfangen zu werden: Behandelt wie ein Krimineller.

Ich wende mich beschämt ab und kann es irgendwie nicht fassen. Sind wir wirklich so misstrauisch und so voreingenommen, dass wir Fremde, die bei uns Schutz suchen, so kaltherzig behandeln? Ich verstehe es nicht, fühle mich hilflos. Spätestens als ich das Gespräch zweier älterer Herren neben mir mitbekomme, die sich darüber auslassen, wie viele Krankheiten die Ausländer ins Land schleppen und dass wir bald lauter schwarze Mischlingsbabys haben werden, weil die „Schwarzen“ die deutschen Frauen anmachen, wird mir kotzübel.

Ich habe meine Generation bisher für aufgeklärt und hilfsbereit gehalten, aber davon scheinen wir Lichtjahre entfernt.