Trotz des Streiks bei der deutschen Bahn oder vielleicht gerade deswegen, hatte ich am Donnerstagabend eine äußerst entspannte Fahrt nach Thüringen.
Es war der einzige Zug, der am späten Donnerstagnachmittag in diese Richtung fuhr, und es war anzunehmen, dass er ziemlich voll sein würde. So nutzte ich die Gelegenheit und löste meinen 1. Klasse-Upgrade-Gutschein ein, den ich vor ein paar Wochen von der Deutschen Bahn bekommen hatte.
Gleich beim Einsteigen wählte ich das kleine Abteil, welches hinter dem Zugführerstand liegt und machte es mir dort bequem. Aber was heißt hier bequem. Die Ledersitze der ersten Klasse sind zwar breiter und stehen weiter auseinander, dafür rutscht man andauernd auf dem glatten Lederbezug nach unten und fängt spätestens nach zehn Minuten an zu schwitzen.
Zu meiner Überraschung füllte sich bis zur Abfahrt das sechssitzige Abteil, fast bis auf den letzten Platz. Gleich nach Abfahrt des Zuges kontrollierte der Zugbegleiter die Fahrscheine. Anschließend lehnte ich mich zurück und vertiefte mich in mein Manuskript, wurde aber ziemlich schnell wieder herausgerissen, als eine junge Frau vom Servicepersonal hereinkam um Tageszeitungen zu verteilen. Die Passagiere hatten die Wahl zwischen Süddeutscher, Welt und Bildzeitung, was auch von den meisten dankend angenommen wurde. Ich lehnte ab, da ich in Ruhe zu arbeiten gedachte.
Wenig später kam die junge Frau zurück, verteilte Gratisnaschereien und fragte, ob jemand Wünsche ans Bordbistro hätte. Ich hatte gerade meine Tüte vom Bahnhofsbäcker und meine Trinkflasche vor mir und sah mich ein wenig beschämt um, als mein Platznachbar ein Bier und ein Sandwich bestellte.
Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr wohl in meiner Haut. So viel Service von der Deutschen Bahn bin ich einfach nicht gewohnt. Mit meinem 2. Klasseticket schien ich nicht hierher zu gehören und ich glaubte, dass jeder im Abteil das wusste. Schon komisch, was für Gedanken einem manchmal durch den Kopf gehen und in welche Kategorie man sich selbst einordnet, obwohl man in Kategorien zu denken eigentlich ablehnt.
Natürlich blieb ich sitzen. Die meisten Fahrgäste stiegen unterwegs aus und als ich daheim den Zug verließ, blieb das Abteil verlassen zurück. Die junge Frau vom Service war noch ein paar Mal vergeblich vorbeigekommen. Nach dem Wechsel der Zugbegleiter wurde auch nochmal meine Fahrkarte kontrolliert. Ansonsten genoss ich die entspannte Ruhe auf der Fahrt: Ohne laut telefonierende Mitreisende, ohne Gedrängel und Geschubse. Ich gehörte zwar nicht hierher, aber angenehm war es dennoch. Man könnte sich fast daran gewöhnen, doch das würde meiner sozialen Einstellung widersprechen, dem Saldo meines Bankkontos sowieso.