Wackersdorf kannte ich nur vom Hörensagen. Wahrscheinlich hatte ich 1986 Aufnahmen von den Protesten im Westfernsehen gesehen, aber ich wusste weder, wo Wackersdorf liegt, noch was sich damals genau zugetragen hat. Ich wusste nur, dass es um atomare Brennstoffe ging.
So richtig bewusst, wurde mir die Geschichte erst, als ich das Kapitel über die Pfingstschlacht von Wackersdorf in Klaus N. Fricks »Vielen Dank, Peter Punk« gelesen habe. Da hat eine Landesregierung mittels eines Großaufgebots an Polizei und Streitkräften friedlich demonstrierende Bürger attackiert. Da wurden Befugnisse überschritten und Gesetze außer Kraft gesetzt.
Wie sich das alles entwickelte und welche perfiden Schachzüge die Regierung Strauß noch alles unternommen hat, um die Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe in Bayern zu bauen, eine Anlage, die keiner brauchte und wollte, das erzählt der Film »Wackersdorf« der 2019 in den Kinos lief. Mit welchen Tricks sich der Bauherr und die Landesregierung der Loyalität der Gemeindevertretung zu versichern versuchte, bzw. wie man einfach gegen bestehendes Recht handelte, das ist schon unglaublich. Da wurde kurzerhand ein Gesetz verabschiedet, das den Landrat entmachtete. Ein Gesetz, das bis heute Bestand hat. Die Vollmachten mit denen die Polizei damals in den Einsatz gegen die Demonstranten ging, wurden mittlerweile durch die Söder-Regierung legitimiert.
Eigentlich unglaublich! Doch seit Februar wissen wir, dass die Demokratie in diesem Land schneller abgeschafft werden kann, als man Demokratie sagen kann. Zum Glück wachen inzwischen einige Bürger und die Judikative auf, um manche Verordnungen wieder zurückzunehmen. Auch in Wackersdorf haben die Menschen einen langen Atem bewiesen. Das lag unteranderem am Super-Gau in Tschernobyl. Die Normalbürger sind aufgewacht und haben Widerstand geleistet, teils friedlich, teils mit Gewalt. Am Ende hat es sich ausgezahlt, die Anlage ging nie in Betrieb. Heute ist sie ein Industriegebiet, auf dem unteranderem ein Werk von BMW steht.
Ich kann den Film nur empfehlen, muss aber bemerken, dass ich selbst als im Bairischen Geübte manchmal Probleme hatte den Dialekt zu verstehen. Oberpfälzer eben! Zum Glück gibt es Untertitel.
Die Demokratie wurde nicht abgeschafft. Es wurden vorübergehend gewisse Rechte eingeschränkt. Es gab Menschen, die im März die Regierung zum Handeln aufgefordert hatten und es gibt auch Menschen, die ihnen noch immer vorwerfen, zu spät gehandelt zu haben. Und es gibt Menschen, die die Reaktion als übertrieben erachten. Doch alle haben ihre Daseinsberechtigung.
In einer Demokratie werden ständig unterschiedliche Interessen gegeneinander aufgewogen. Mal bewegt sich das Pendel in die eine Richtung, mal in die andere. Das kann sehr unschöne Züge annehmen, wie in Wackersdorf und bei Stuttgart 21 und da gibt es noch sehr viel mehr Beispiele. Aber in Deutschland darf man dafür oder dagegen sein. Wir haben die Gewaltentrennung, die Fehlentwicklungen entgegenwirken. Ich sage nur „I love Karlsruhe“. Das ist ein langwieriger und oft schmerzlicher Prozess. Es gibt immer irgendwie Gewinner und Verlierer.
Das ist Demokratie.
Wo fängt Demokratie an und wo hört sie auf?
Das ist Ansichtssache. Ich bin jedenfalls nicht so politikhörig wie viele andere zurzeit, nicht mehr. Dazu bin ich als Ostdeutsche zu oft von der Politik hintergangen worden. Gesundes Mistrauen in Politiker ist und war nie verkehrt. Die wenigsten wollen uns etwas Gutes, weder auf der rechten noch auf der linken Seite und die mittendrin schon gar nicht. Wenn man sich den Gedanken verinnerlicht, sieht man vieles in anderem Licht.
Was die Gewinner und Verlierer angeht, sind es immer die Gleichen, die gewinnen und verlieren. Das ist das Grundsatzproblem.