Idyll am Vormittag mit Schrecksekunde

Es gibt sie noch, die ruhigen verlassenen Orte auf Madeira. Man muss nur abseits der Touristenpfade danach suchen und vor allem zu Zeiten dorthin gehen, an denen wenig los ist.

Am Dienstag sind wir früher aufgestanden, waren die Ersten beim Frühstück und wollten schnell loskommen, um vor allen anderen in Ribeiro Frio zu sein. Der Berufsverkehr in Funchal war allerdings höllisch. Auf der Autobahn war Stau, weshalb sich jeder durch die Stadt quälte. Ich befragte Google Maps, dass mir einen Weg vorschlug, dem wir folgten. Immer bergauf durch enge Gassen mit Gegenverkehr. An der steilsten Stelle (Ich hatte erneut Angst, dass wir jeden Augenblick nach hinten umkippen.) kam uns dann ein Auto entgegen. Panik! Anhalten und zurücksetzen bei zirka 25 Prozent Steigung ist nur schwer möglich. Die Handbremse hat erst beim dritten Versuch auf der letzten Rille gehalten. Der Fahrer des anderen Autos fuhr dann zum Glück in eine Seitenstraße, damit wir weiterfahren konnten. Wenn ich katholisch wäre, hätte ich wahrscheinlich drei Ave Maria gebetet. Zumindest waren wir beide vom Angstschweiß durchgeschwitzt.

Außerhalb Funchals war dann kaum noch Verkehr und wir fuhren in vielen Kurven hoch bis zum Poiso-Pass auf 1412 Meter und von da wieder den Berg runter nach Ribeiro Frio. Der Parkplatz oberhalb der Forellenzucht-Anlage war wohltuend leer. Es war mit zwölf Grad Celsius noch recht frisch, aber es war auch erst zehn nach Neun morgens. Wir wanderten die Straße entlang bis zum Beginn des Levadas, der zum Miradouro dos Balcões führt. Wir waren fast allein auf dem idyllischen Wanderweg. Die Hähne krähten und die Bienen summten um den Madeira Natternkopf.

Der Weg führt an einem Levada entlang, weshalb er relativ flach ist. Man kann bequem nebeneinander hergehen, muss aber auf den Boden aufpassen, weil immer wieder Steine oder Wurzeln herausragen. Festes Schuhwerk sollte man schon tragen. Zweimal geht man durch eine enge Felsenschlucht, dann ist man auf der anderen Seite fernab jeder Zivilisation. Das einzige Gebäude ist ein kleines Wasserkraftwerk ganz unten im Tal. Ansonsten sieht man nur grüne bewaldete Berge und die Wolken, die unterhalb der Bergspitzen hängen.

Man hört absolut nichts, kein Verkehr, keine von Menschen gemachten Laute, nichts außer den Vögeln. Die sind übrigens sehr zutraulich und lassen sich von den Menschen nicht stören. Sie würden einem wahrscheinlich sogar auf die Hand hüpfen, wenn man ihnen Futter hinhielte. Es ist aber verboten, die Tiere zu füttern, darauf weisen mehrere Schilder hin. Es gibt aber dennoch Leute, die Vogelfutter verstreuen. Auf dem Rückweg hielten wir an einer kleinen Gaststätte und kauften Honig. Dort kann man auch eine Toilette aufsuchen, wenn man etwas kauft oder 50 Cent bezahlt. Hier begegneten uns dann schon die ersten Bustouristen. Wir hatten also alles richtig gemacht.

Ich hatte mir gewünscht, nochmal auf den Campingplatz im Wald zu fahren, wo wir 2010 gewesen waren. Also fuhren wir wieder hoch zum Poiso-Pass und bogen dann Richtung Santo da Serra ab. Der Ort heißt Terreiros und ist ein Campingplatz mitten im Wald neben einem Gehege für Schafe. Die Schafe laufen tagsüber quer durch die Botanik so wie auch am Dienstag. Man muss höllisch aufpassen, damit man die Tiere nicht überfährt, die plötzlich nach einer Kurve direkt auf der Straße stehen.

Es ist wunderschön ruhig, keine Menschen Seele in der Nähe, selbst auf der Straße fuhr kaum ein Auto vorbei. Die beiden Seen, die da angeblich sind, haben wir zwar nicht gesehen, aber hier könnte sogar ich mir vorstellen zu zelten, obwohl ich normalerweise mit Camping nichts am Hut habe. Wir spazierten eine Weile umher, bewunderten Wolken, die ab und zu als Nebelschwaden über die Baumspitzen zogen und machten Fotos.

Anschließend fuhren wir weiter nach Santo da Serra, an dem Golfressort vorbei, an dem ein Hotel der Hotelgruppe steht, in der wir übernachten. Wir folgten der Straße, die nach Santa Cruz am Flughafen vorbei zur Autobahn führt und fuhren ins Hotel zurück. Wo wir uns mit einem Eis zum Kaffee belohnten.

Katastrophentourismus

Am Montag besuchten wir den westlichen Teil der Insel und sahen die verheerenden Folgen der Waldbrände, die dort im Oktober 2023 gewütet hatten.

Ich hatte gar nicht mehr auf dem Schirm, dass es im Herbst 2023 auf Madeira gebrannt hat. Uns waren jedoch schon auf der Hochebene verbrannte Hänge aufgefallen. Als wir nach Ponta do Pargo fuhren, führten die Straßen dann durch dürre Eukalyptus- und Lorbeerwälder. Der Boden war schon wieder von Farnen bedeckt, aber die Bäume ragten als schwarze Mahnmale daraus hervor. Mich überraschte die Größe des Gebietes in dem nicht nur die Wälder vernichtet worden waren. Hin und wieder kamen wir auch an Häuserruinen vorbei.

In Ponta do Pargo besichtigten wir ein Museum in einem kleinen Leuchturm. Es informiert über die Leuchttürme der Insel und ist sehr nett hergerichtet, leider sind die Beschreibungen nur in portugiesisch. Vor dem Leuchturm hat man einen sensationellen Blick auf die Westküste. Steil abfallende Felsenklippen und türkisfarbenes Wasser beherrschen die Szenerie. Weit ab von den Touristenzentren verirren sich nur wenige Menschen hierher. Wir waren zwar nicht allein, aber es blieb beschaulich.

Beschaulich war auch das nächste Ziel, dass wir eigentlich gar nicht auf dem Schirm hatten, dass wir aber zufällig während eine Toilettenpause entdeckt hatten. Der Miradouro da Boa Morte liegt auf einer niedrigen Klippe, die man leicht von einer kleinen Kirche aus erreichen kann. Wenige Stufen und ein gut befestigter Betonweg münden in einer Aussichtsplattform, die ebenfalls spektakuläre Blicke über den Atlantik und die Küste erlaubt. Rechts und links weideten Kühe und auf den Wiesen gab es Pflanzen und Gräser, die ich noch nie gesehen habe. Wer möchte, kann eine Wanderung zum nahegelegenen Miradouro Pico Vermelho machen. Da ich an dem Tag aber nicht besonders gut drauf war, sind wir weitergefahren nach Achadas da Cruz.

Die dortige Seilbahn, die hinunter zum Meer führt, war bis vor kurzem noch ein Geheimtipp. Inzwischen haben Blogger und Influencer in den sozialen Medien viel über die spektakuläre Fahrt berichtet. Als wir gegen Mittag ankamen, reichte die Schlange der Mietwägen bereits bis zur zweiten Kehre der Zufahrtsstraße. Wollte ich mit hunderten von Leuten den schmalen Streifen Land unterhalb der Felsen besuchen? Ehrlich gesagt war mir an dem Tag nicht danach, daher sind wir mit schleifender Kupplung auf der engen Straße wieder umgedreht und weitergefahren.

Oben auf der Hochebene schien die Sonne, es war ruhig und es herrschte wenig Verkehr. Der Parkplatz bei Rabaçal war wie erwartet voll. Das war er aber schon  so, als wir 2010 hier waren. Vom Forsthaus bei Rabaçal startet ein sehr schöner Weg an einem Levada entlang. Zuerst zum Risco Wasserfall und anschließend weiter zu den »25 Fontes«. Die Strecke ist nicht ganz ohne, weil man teilweise nur auf der Mauer des Lavadas entlang balancieren muss. Ohne Gegenverkehr ist das kein Problem, aber da der Weg inzwischen so überlaufen ist, wurde er als anspruchsvoll eingestuft. Das war 2010 schon problematisch, ich kann mir gut vorstellen, dass es jetzt noch viel schlimmer ist. Davon abgesehen, waren wir damals echt enttäuscht. Nach drei Stunden Wanderung fanden wir statt »25 Fontes« nur ein paar spärliche Rinnsale vor. Ich verstehe den Hype irgendwie nicht, weil es auf der Insel schönere Levadas gibt. Das Wasserwandl am Hochgern ist ähnlich und da sind weniger Touristen.

Wir fuhren weiter zu einem großen Wasserbecken. Der dortige Aussichtspunkt wurde erst vergangenes Jahr angelegt und bietet einen schönen Rundblick über die Hochebene. Wir ließen das Auto neben der Straße stehen und wanderten die 500 Meter zum Aussichtspunkt, obwohl wir auch direkt hätten hinfahren können.

Eigentlich führt die Straße über Paul da Serra zum Ecumeada-Pass und von dort runter nach Ribeira Brava. Wir sind hier immer gern entlang gefahren, wegen der Aussicht, der vielen Windräder und der Hochgebirgsvegetation – in diesem Jahr blüht der Ginster und färbt die Landschaft gelb. Leider ist die Straße zum Ecumeada-Pass gesperrt. Das trifft übrigens auf mehrere Straßen auf der Insel zu, die wir entlang fahren wollten. Wahrscheinlich müssen sie saniert werden. Das ist in Deutschland im Sommer ja ähnlich.

Wir nahmen eine andere Straße, die von etwa 1400 Metern in vielen Serpentinen und engen Ortsdurchfahrten nach unten zur Autobahn führte. Man braucht auf Madeira für wenige Kilometer immer sehr lange. Und wenn dann auch noch ein mit Holz beladener Laster vor einem fährt, ums so länger. Dafür wird man mit atemberaubenden Ausblicken entschädigt. Manchmal verschlägt es einem auch den Atem, wenn man rechts oder links neben der Straße in die Tiefe blickt. Schneller als 60 km/h kann und sollte man nicht fahren, manchmal sind weniger als 30 km/h die bessere Alternative.

Den Nachmittag gingen wir nochmal zum Hafen in Funchal um ein paar Mitbringsel zu kaufen. Anschließend ließen wir auf dem Hotelbalkon den Tag ausklingen.