Das es auf viele Fragen unserer Gegenwart keine einfachen Antworten mehr gibt, sollte inzwischen jedem aufgefallen sein. Nichts ist wirklich schwarz oder weiß. Einer wird immer auf der Verliererseite stehen, egal wie wohlwollend oder wie strikt man über etwas entscheidet. Politik und Justiz hat es nicht leicht und dies wird sich in Zukunft noch verstärken. Vieles ist mit vielem verknüpft, die Gesellschaft wird immer komplexer, so wie die Anforderungen an unser Leben. Im Schatten des Klimawandels wird es noch viele weitere solcher Situationen geben, wie wir sie in den vergangenen Monaten erlebt haben. Es wird immer häufiger vorkommen, dass es gilt, ein Leben gegen ein anderes abzuwägen. Das sollten wir uns klar machen.
Wie man in solchen schwierigen Fällen argumentieren kann, lerne ich seit Jahren beim Anschauen von Anwaltsserien. Das hat mir schon oft geholfen, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Anfang der Zweitausender sah ich »Ally McBeal«, später dann »Practice – Die Anwälte« und dessen Spinoff »Boston Legal«. Die Serien von David E. Kelley zeichnen sich nicht nur durch Humor, sondern vor allem durch erstklassische Argumentationen und Wortgefechte aus. Die Fälle sind gesellschaftlich oft hochbrisant und in den meisten Fällen kann es eigentlich kein Richtig oder Falsch geben. Dennoch müssen die Richter immer ein Urteil fällen, das das Leben von Menschen beeinträchtigen wird. Das finde ich immer wieder großartig gemacht. Da stecken viele Überlegungen ethischer und philosophischer Art dahinter. David E. Kelley hat selbst Jura studiert und das merkt man diesen Serien an. Er macht es sich nie leicht. Die Episoden strotzen nur so vor schwierigen, oft auch skurrilen Fällen.
Momentan schauen wir uns »Picket Fences – Tatort Gartenzaun« an. Die erste Serie die David E. Kelley fürs Fernsehen produziert hat. Hier geht es um die Kleinstadt Rome in Wisconsin. Es ist eine Mischung aus Krimi-, Familien- und Anwaltsserie. Immer wieder muss Richter Bone (gespielt von Ray Walston, Darsteller des Gärtners Boothby vom Campus der Sternenflotten-Akademie) Entscheidungen treffen, die extrem knifflig sind. Zum Beispiel möchte ein an Alzheimer erkrankter Mann, der nur noch wenige Jahre zu leben hat, sein Herz seinem Sohn spenden, der sonst innerhalb weniger Tage sterben würde. Der Richter kennt Vater und Sohn. Er weiß, dass dem Vater ein schwerer Lebensabend bevorsteht, und das dessen vierzigjähriger verwitweter Sohn drei kleine Kinder hinterlässt, wenn er stirbt. Letztendlich verbietet er trotzdem dem Vater das Herz zu spenden, weil auch das Leben eines Alzheimer Patienten einen Wert hat. Der Sohn wird schließlich dennoch gerettet, weil es im letzten Augenblick einen Spender gibt. Aber die Plädoyers, ob der Vater dem Sohn das Leben retten darf, und damit sein eigenes opfert, sind brillant geschrieben. Da werden Blickwinkel beleuchtet, die man niemals im Kopf gehabt hätte, die aber dennoch in sich schlüssig sind.
Vielleicht schaue ich mir genau deshalb gern die Anwaltsserien von David E. Kelley an, man lernt dabei, eine Sache von mehr als zwei Seiten zu betrachten. Das finde ich wichtig.