Text im Kopf

Quelle: Jimmy Beaulieu »Ein pornographischer Sommer«

Unlängst entdeckte ich mich in einer Graphic Novel von Jimmy Beaulieu wieder. Auf der Zeichnung ist ein Autor zu sehen, der nachts durch eine Stadt geht und dabei einen Roman schreibt. Und zwar in seinen Gedanken.

Auch ich sehe Worte, füge sie gedanklich zu Sätzen zusammen, ob beim Spaziergang oder beim Fahrradfahren. Da ist stets ein Text, der in meinen Gedanken Gestalt annimmt und raus möchte. Oft passiert mir das nachts und sorgt dafür, dass ich nicht schlafen kann. Wenn ich aufstünde, würde ich meinen Mann aufwecken, das will ich nicht. Also liege ich da und formuliere im Kopf Geschichten oder Blogtexte.

Wenn ich es am nächsten Tag schaffe, bringe ich die Sätze zu Papier oder in den Computer. Meistens aber verwehen sie, bevor ich sie aufschreiben kann. Aber selbst wenn, ist der Text nicht so perfekt, wie ich ihn mir in Gedanken abgelegt habe.

Gut ist aber, dass ich diesen Zustand des »Wörtersehens«, wie ich es nenne, erzwingen kann, wenn ich einen Text schreiben muss. Es dauert zwar manchmal bis ich richtig drin bin. Meist kann ich dann den ersten Teil des Textes nochmal schreiben, weil er nichts taugt. Aber im Grunde funktioniert es. Natürlich wäre es besser, immer gleich loszuschreiben, wenn die Sätze vor meinen Augen entstehen, aber das ist mitunter schwierig. Ich versuche mir einfach die Formulierungen zu merken und das klappt im Grunde ganz gut.

Zurück zu Jimmy Beaulieu. Es freut mich zu sehen, dass es offenbar anderen Menschen ebenso geht wie mir und sie Sätze sehen. Das ihre Texte in Gedanken entstehen, sie daran herumfeilen, korrigieren und verwerfen, als würden sie sie auf ein Stück Papier schreiben. Cool!

Die Graphic Novel »Ein pornographischer Sommer« erzählt von einem bekannten Erotikautor, der ein altes leerstehendes Hotel in einer dünn besiedelten Gegend Kanadas kauft und dort einen Sommer lang mit seiner Freundin die Geheimnisse des Hauses ergründet. Pornographisch ist eher das, was der Autor in seinen Romanen schreibt, als die Zeichnungen des Künstlers, der die Geschichte erzählt. Also alles in allem kein Schweinkram.