Ich stamme aus dem Kloßland. Das bedeutet, dass es bei uns Sonntags fast immer Klöße zum Mittag gab. Dazu wurde Braten gereicht, meist vom Rind, Schwein, Wild oder Kaninchen oder oft auch Rinderrouladen. In meiner Kindheit war ein Sonntag ohne Klöße kein richtiger Sonntag.
Weil ich ein schlechter Esser war, habe ich allerdings meist nur einen Kloß gegessen. Den aber mit viel Soße. Auch heute muss der Kloß bei mir möglichst in Soße »schwimmen«. Mein Mann kann Klößen und vor allem der Soße nicht so viel abgewinnen, aber er ist auch kein Thüringer. Es sei ihm daher verziehen.
Die Zubereitung von echten Thüringer Klößen ist eine Wissenschaft, nämlich die Kloßologie. Nicht lachen, die gibt es wirklich. Ich kann mich gut erinnern, wie sich Sonntags meine Mutter und meine Großmutter in der Küche plagten und heute tue ich das manchmal auch. Am mühsamsten ist das Reiben der Kartoffeln. Meine Mutter hatte in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine DDR Küchenmaschine (mit dem coolen Namen »Komet«), die das für sie gemacht hat. Als die kurz nach der Wende kaputt ging und sie keiner mehr reparieren konnte, blieb nur noch die Handreibe. Der Kauf einer neuen Küchenmaschine mit Reibe nutzte nichts, weil die Konsistenz des Kartoffelriebs nicht dieselbe war, der ist bei den neuen Maschinen nämlich zu grob. Also sitzen wir, wenn es Kloß geben soll, Sonntagvormittag in der Küche und reiben die Kartoffeln mit der Hand auf einer mehr als hundert Jahre alten Messingreibe, was bei mir grundsätzlich zu wunden Fingern führt. Mit der Reibe hat, glaube ich, schon meine Urgroßmutter Kartoffeln für Klöße gerieben.
Danach wird der Rieb mit einem Presssack ausgepresst. Dafür gibt es extra Kartoffelpressen, von denen wir mehrere daheim haben, die wir aber nicht mehr hernehmen, weil man das mit der Hand genauso gut auspressen kann. Als Kind hatte ich aber immer viel Spaß mit der Kartoffelpresse und durfte das immer machen.
Nebenbei wird übrigens ein Kartoffelbrei gekocht, der dann kochend heiß auf den trockenen Kartoffelrieb geschüttet und das Ganze dann ordentlich verrührt wird. Der Teig darf keine rohen Stückchen mehr enthalten. Den Quirl, mit dem wir das verrühren, hat mein Vater aus einem Christbaum geschnitzt. Die modernen Quirle sind nicht so effektiv.
Dann werden aus dem Teig Klöße geformt. In die Mitte kommen geröstete Semmelstückchen rein, damit die Klöße schneller durch sind. Die Klöße müssen dann nochmals in heißem Wasser ziehen, bis sie oben schwimmen. Anschließend sollten sie sofort serviert und mit möglichst viel Soße verzehrt werden. Wenn der Kloß und die Soße gelungen sind, bräuchte ich eigentlich kein Bratenfleisch mehr.
Wer sich für die Kloßologie interessiert und wissen will, wie und warum der Kloß in Thüringen entstanden ist und was es sonst noch für Kloßrezepte gibt, dem empfehle ich das »Kleine Thüringer Kloßbuch«. Das Minibüchlein (11,5 x 8 cm) erstand ich unlängst am Saalfelder Bahnhof. Es ist hochinteressant, weil es auch über die Geschichte der Kartoffel informiert. Es erschien im Rhinoverlag Ilmenau und kostet 5,95 Euro.
Das brauche ich!!
ISBN 978-3955600143
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