Eigentlich wollte ich diesen Text gestern schon schreiben, aber dann hatte ich gestern Abend einen solchen Knoten im Kopf, dass gar nichts mehr ging. Grund dafür ist ein Mehrfamilienhaus, das wenige Schritte von uns entstehen wird und für das ich mit der Durchbruchsplanung beauftragt wurde.
Die Wohnungen sind inzwischen längst verkauft. Bei den Preisen pro Quadratmeter schätze ich mal, dass die Käufer wieder vorwiegend aus der ganzen Republik kommen und keine Einheimischen sein werden. Vermutlich ältere Leute, die ihr Haus verkauft haben und nun in eine Wohnung ziehen, die genausoviel kostet wie anderswo ein Haus oder eine Villa. Das Architekturbüro aus Österreich hat schicke Exposés erstellt, computeranimierte, realistisch aussehende Fotos zeigen moderne Wohnungen.
Das sieht alles wunderbar aus und wäre auch toll, wenn nicht die Physik wäre. Ich habe nämlich nun die schwierige Aufgabe, die Versorgungs- und Entwässerungsleitungen für das Gebäude festzulegen. Da ist es hinderlich, wenn in einem vierstöckigen Gebäude mit Keller, die Bäder und WCs in jeder Wohnung an einer anderen Stelle sind und sich unter und über den Bädern Wohn- oder Schlafräume befinden. Bei denen das Abwasserrohr dann genau durchs Bett verlaufen würde. Außerdem wird gern vergessen, dass Abwasserrohre oben offen sein müssen, damit das Wasser auch ablaufen kann. Sprich, jedes Abwasserrohr muss auf dem Dach in einer Entlüftung enden. Das Abwasserrohr, das vom Erdgeschoss in den Keller führt, muss also auch durch die Obergeschosse und durchs Dach. Wenn die Bäder also nicht übereinander liegen heißt das: ich brauche für jede Wohnung mindestens einen Strang, der sich durch alle Etagen zieht. Wenn Badewanne, Toilette oder Dusche sich auch noch an verschiedenen Seiten des Bads befinden, brauche ich zwei Abwasserrohre. Diese einfach so über den Boden zu verlegen, geht nur bei kurzen Distanzen, weil die Rohre ein Gefälle haben müssen, damit das Wasser nicht stehenbleibt, sondern abläuft. Und dazu reicht der Fußbodenaufbau in den meisten Fällen nicht.
Man sieht, so eine Abwasserplanung ist hochkomplex. Zusätzlich kommen noch die Versorgungsleitungen mit Trinkwasser, Warmwasser sowie Vor- und Rücklauf für die Heizung hinzu. Auch hier gibt es Mindestlängen, die man einhalten muss, zum Beispiel wegen der Trinkwasserhygiene oder der Vorlaufzeiten fürs Warmwasser. Ich habe mir gestern erstmal den ganzen Tag den Kopf zerbrochen, wie man wo lang fahren könnte, um das Haus zu entwässern, ohne den Grundriss der Wohnungen zu ändern. Ich hatte dann zumindest drei von zehn Strängen die einigermaßen von unten bis oben durchgingen, wenn auch mit kleinem Versatz. Beim Rest scheitert es meist an der Entlüftung übers Dach. Sprich, ich komme mitten in der Terrasse bzw. mitten im Wohnzimmer hoch. Oder ich lande im Kellerflur, der als Brandabschnitt gekennzeichnet ist. In diesen darf man nur Rohre oder Leitungen verlegen, die nicht brennbar oder schwer entflammbar sind, bzw. die speziell abgeschottet werden müssen, damit der Brandschutz eingehalten wird. Was extreme Mehrkosten verursacht.
Die Wohnraumlüftung ist auch noch nicht perfekt. Vor allem im Dachgeschoss schaffen wir die vorgegebenen Maße des Herstellers nicht und müssen die Abluftstränge notfalls über den Boden ziehen. Das geht zwar, kostet aber wieder mehr.
Am Montag kommt der Architekt vorbei. Ich bin gespannt, was er sagt. Beim Hausbau ist der Spruch »form follows function« nämlich zwingend. Wasser richtet sich immer nach der Physik und nie nach dem Design.
Lernen Architekten das nicht mehr, sowas mit einzuplanen? Mein Papa ist Architekt, und der hat mal gesagt, es gäbe die Regel, dass Nassräume, also Bäder und Küchen immer übereinander liegen sollen wegen der Rohre…
Offensichtlich nicht. Wobei man, glaube ich, in Österreich kein Architekturstudium braucht um Architekt zu sein, da reicht eine Ausbildung an einer Kunsthochschule.
Ich erlebe das aber bei vielen Architekten, mit denen ich arbeite. Die wenigsten machen sich da tatsächlich Gedanken drüber. Hauptsache es sieht gut aus. Die einzigen, die es wirklich gut draufhaben, sie die Architekten und Bauzeichner bei den großen Baufirmen, da klappt das meistens.
„Ausbildung an einer Kunsthochschule“ … Oh, myyyy!
In Österreich gibt es auch nicht ganz so strenge Bauvorschriften wie in Deutschland, da ist architektonisch viel mehr möglich. Das sieht man auch, wenn man durch die Ortschaften fährt. Das macht es halt in der Zusammenarbeit viel schwieriger, weil in Deutschland eben nicht alles geht.