Science Fiction Hall of Fame 2 (1948-1963)
Herausgegeben von Robert Silverberg
Im vergangenen Jahr las ich mit großer Begeisterung den ersten Band der Science Fiction Hall of Fame. Die zwölf großartigen Kurzgeschichten bekannter Science Fiction-Autoren begeisterten mich so sehr, dass ich mich auf den zweiten Band freute. Dieser Tage habe ich das Buch mit den 14 Kurzgeschichten beendet und bin wieder völlig hingerissen.
Dabei lasen sich die ersten vier Geschichten eher zäh. Sowohl Cordwainer Smith als auch Ray Bradbury konnten mich mit ihren Storys nicht wirklich überzeugen.
Ersterer erzählt von Scannern, Menschen, die mit technologischen Implantaten ausgestattet wurden (heute würde man sie Cyborgs nennen), um lange Weltraumreisen psychisch zu überstehen. Als ein Wissenschaftler herausfindet, wie auch normale Menschen Monate und Jahre lang durch das All reisen können, ohne durchzudrehen, fürchten die Scanner um ihre Daseinsberechtigung und rebellieren. Ray Bradbury zeigt die Landung des ersten irdischen Raumschiffes auf dem Mars. Die Begegnung mit den Marsianern ist zwar ungewöhnlich, aber auch vorhersehbar und konnte mich deswegen nicht überzeugen.
Spannender war dagegen die »Die kleine schwarze Tasche« von Cyril M. Kornbluth. Darin geht es um einen heruntergekommenen Arzt, der eine Arzttasche aus der Zukunft findet und wieder zu praktizieren beginnt, bis er der Gier seiner Assistentin erliegt.
Die Kürzestgeschichte von Richard Matheson berichtet von einer geknechteten Kreatur in einem Keller, von der man bis zum Ende nicht erfährt, ob es ein Mensch oder etwas Fremdes ist.
Besser gefiel mir »Schöne Aussichten« von Fritz Leiber. Ein Engländer rettet im radioaktiv verseuchten New York eine junge Frau, die eigentlich nicht gerettet werden will. An dieser Geschichte fesselt vor allem die Darstellung einer postatomaren Gesellschaft in der es für Frauen als unschicklich gilt, sich ohne Maske in der Öffentlichkeit zu zeigen. Der Widerspruch der Gesellschaft liegt darin, dass Frauen auf der einen Seite als das starkes Geschlecht präsentiert werden, indem sie in Showkämpfen gegen Männer antreten, auf der anderen Seite jedoch unterdrückt und missbraucht werden.
Um Unterdrückung geht es auch in der Geschichte von Anthony Boucher. Sie spielt im Kalifornien der Zukunft, in der jegliche Ausübung von Religion verboten ist. Zu dieser Zeit wird ein Priester heimlich vom Papst mit einem Robot-Esel losgeschickt, um das Grab des heiligen Aquin zu finden. Die Frage, mit der sich die Geschichte auseinandersetzt, ist: wieviel Wahrheit und wieviel Lüge braucht es, um zu glauben. Die Diskussionen des Priesters mit seinem Esel und die Pointe am Schluss sind ein großartiges Stück Literatur.
In meinen Augen die beeindruckendste Geschichte in Band 2 der Hall of Fame stammt aber von James Blish, besser bekannt durch seine Beiträge zur klassischen Star Trek-Serie. Mit »Oberflächenspannung« schuf er eine phantastische Geschichte, die nicht nur mit dem Schicksal einer ganzen Spezies, sondern auch mit Evolution und physikalischen Phänomenen spielt. Der Autor zeigt den Aufbruch einer außerirdischen Zivilisation in eindringlichen Bildern und mit großer Tragik. Die Besonderheit liegt darin, dass die Zivilisation einst von Menschen erschaffen wurde, die auf dem Planeten gestrandet waren.
Von da ab ebbt der Strom an spannenden Geschichten nicht ab. Der große Arthur C. Clark lässt das Ende der Welt von ein paar buddhistischen Mönchen mit einem Supercomputer herbeirechnen. Jerome Bixby erzählt die Geschichte eines Mutantenkindes, das eine ganze Stadt terrorisiert und Tom Godwin brilliert mit einem anrührenden Kammerspiel. Die klassische Raumschiff-Story erzählt von einem Piloten, der das Leben eines blinden Passagiers (einem unschuldigen jungen Mädchen) beenden muss. Hier geht es um die moralische Frage, was wichtiger ist: das Wohl vieler oder eines einzelnen. Das ist klassische SF, die bis zum Ende hin berührend erzählt wird.
Ich gebe zu, dass ich von Alfred Besters Geschichte »Geliebtes Fahrenheit« ein wenig irritiert bin, weil ich bis zum Schluss nicht begriffen habe, wie viele Protagonisten es in der Geschichte tatsächlich gibt. Die Story ist eher ein Fall für Psychoanalytiker.
Auch die nachfolgende Geschichte von Damon Knight geht in die psychologische Richtung und erzählt, was passiert, wenn ein Rebell in einer Gesellschaft von Angepassten leben muss.
Eine besondere Herausforderung stellte für mich die Geschichte »Blumen für Algernon« von Daniel Keyes dar. Die Aneinanderreihung von Berichten eines Legasthenikers ist wegen der unzähligen Grammatik- und Rechtschreibfehler zunächst nur schwer zu lesen. Aber als es mir gelang, den Redakteursmodus auszuschalten und mich auf die Geschichte einzulassen, ging mir das Schicksal des Protagonisten am Ende sehr nahe. Da hatte ich tatsächlich Tränen in den Augenwinkeln. Meine Hochachtung für den Autor (und den Übersetzer), der die Wandlung eines Menschen nur anhand seiner geschriebenen Texte zeigt.
Auch die letzte Geschichte »Dem Prediger die Rose« von Roger Zelazny berührte mich. Ein Autor und Übersetzer von der Erde soll bei einer Expedition auf dem Mars Kontakt zu den, vom Aussterben bedrohten, Marsbewohnern aufnehmen. Dem Sprachexperten mit religiösem Hintergrund gelingt es, mit dem zurückhaltenden Volk zu kommunizieren, das schon seit Jahrtausenden den Mars bewohnt. Bewundernswert an dieser Geschichte finde ich die poetischen Beschreibungen und die vielen Querverweise auf die irdische Literatur. Vom ersten Testament über die alten Griechen, bis hin zu Shakespeare und Rilke zieht Zelazny seine Analogien. Das ist brillante, mit viel Intelligenz verfasste Genre-Literatur.
Auch der zweite Band der Science Fiction Hall of Fame enthält großartige Kurzgeschichten, die das Genre geprägt haben. Viele der Ideen würden sich hervorragend für eine Verfilmung eignen. Für Science Fiction-Fans sind beide Anthologien ein absolutes Muss. Einfach nur, um zu sehen, wo die großen Ideen herstammen, die Jahrzehnte später Serien wie Star Trek prägten und noch heute die Literatur des Genres bestimmen. Wenn ich mir bewusst mache, wie alt diese Geschichten sind, empfinde ich tiefe Ehrfurcht vor den Visionen der damaligen Autoren, die ihrer Gegenwart weit voraus waren, auch wenn den Geschichten immer noch das Flair ihrer Zeit anhängt.
»SF Hall of Fame – die besten Storys 1948-1963« herausgegeben von Robert Silverberg erschien bei Golkonda und ist überall im Buchhandel und online erhältlich.
Ich habe alle Geschichten in diesem Buch mit großem Genuss gelesen und empfehle – ausnahmsweise – auch die Lektüre der Romanform von »Blumen für Algernon«. Wobei es ja die gleiche Idee ist, nur halt ausführlicher geschrieben. Nach wie vor einer meiner allerliebsten SF-Romane.