Dass ich großes Glück hatte in einer reizvollen Gegend aufzuwachsen, nah an der Natur und ihren Schätzen, begreife ich erst, wenn ich Menschen treffe, denen dieses Glück nicht vergönnt war. Menschen die in Großstädten aufwuchsen oder in Gegenden, deren Reiz sich nur auf den zweiten Blick erschließt. Menschen die eine Linde nicht von einem Ahorn unterscheiden können oder eine Meise von einem Spatz. Oder – besonders schlimm – Kinder, die Kühe nur aus der Milka-Werbung kennen.
Genau dann weiß ich zu schätzen, dass ich in einer intakten Umwelt aufwachsen durfte, dass meine Eltern mir beibrachten, wie die Bäume und Sträucher heißen, wie man Pilze in essbar und giftig unterscheidet und welche Tiere besonders selten sind. In meiner Jugend blätterte ich gern in den Naturführern, die überall zuhause herum lagen. Oftmals konnte ich direkt am lebenden Objekt nachschlagen, um was für einen Schmetterling oder Vogel es sich handelte, oder wie die Pflanzen am Wegesrand hießen.
Dort, wo ich aufwuchs, gibt es heute noch eine Artenvielfalt, die mich immer wieder in Erstaunen versetzt. Ob es das Pärchen Neuntöter ist, das in der Hecke brütet, oder der Schwalbenschwanz, der sich am Schmetterlingsflieder niederlässt, oder das Zittergras auf dem Hang hinter der Hütte. Das alles gehört zu meinem Leben und ich könnte mir nicht vorstellen, ohne dieses Wissen zu sein.
Umso trauriger macht es mich, wenn ich sehe, wie die Natur sich langsam verändert, wie es immer weniger Insekten und Vögel gibt, wie Bäume sterben und die Wälder lichter werden. Regelrecht wütend macht es mich, wenn ich sehe, wie manche Menschen völlig sorglos mit der Umwelt umgehen, wenn Hecken in der Brutzeit abgesäbelt werden und Tonnenweiße Gülle auf die Wiesen versprüht wird.
Dann erinnere ich mich, dass diese Menschen in ihrer Kindheit sicher keine Eltern hatten, die ihnen gezeigt haben, wie die Natur funktioniert und wie fragil und wertvoll sie für uns ist. Wir werden in unseren Kindern kein Umweltbewusstsein wecken, wenn wir ihnen nicht beibringen, wie der Vogel heißt oder der Baum. Denn wenn man den Namen von etwas kennt, bekommt es eine Bedeutung. Man kann nur das schützen, was man kennt.