Aktuelle Netzzeitabweichung

»Die Uhr geht schon wieder nach!« Mein Mann steht vor dem Backofen und wundert sich. In den letzten Wochen hatte er die Uhr bereits mehrmals nachstellen müssen.

Gestern dann die Erklärung in den Nachrichten. Nein, es liegt nicht am Backofen, es liegt an der Netzfrequenz. Die Backofenuhren richten sich nach der Netzzeit, die von der Netzfrequenz aus dem Stromnetz bestimmt wird.

Ich versuche das hier etwas vereinfacht darzustellen:
Es geht um Strom und speziell um das europäische Verbundnetz, welches von Portugal über Estland bis in die Türkei reicht. Im Normalfall liegt die Netzfrequenz bei 50,0 Hz, d. h. das der Wechselstrom, der aus der Steckdose kommt, überall in Europa 50,0 Hz hat. Wenn nun zum Beispiel ein oder mehrere Kraftwerke ausfallen, sinkt die Netzfrequenz. Sie darf aber nur bis zu einem bestimmten Wert (+/- 0,200 Hz) fallen oder steigen, sonst besteht die Gefahr, dass das ganze Stromnetz zusammenbricht. Also produzieren andere Kraftwerke mehr Strom, damit die Netzfrequenz stabil gehalten werden kann.

Spannung kann man sich wie eine Sinusförmige Welle/Schwingung vorstellen, mit einer Frequenz von 50 Hz (50 Sinuswellen pro Sekunde). Die Netzzeit entspricht der Uhrzeit, welche sich ergibt, wenn nach jeweils 50 Schwingungen der Spannung eine Sekunde hochgezählt wird. Liegt die Netzfrequenz über den 50 Hz, dann eilt die Netzzeit der realen Zeit voraus, bei Unterfrequenz wird die Zeit langsamer gezählt.

Seit Mitte Januar kommt es in Serbien und im Kosovo zu Unregelmäßigkeiten im Stromnetz. Es fließt mehr Strom ab, als herauskommt. Das heißt, entweder ist dort ein Kraftwerk kaputt und jemand speist absichtlich keinen Strom zum Regeln mehr in das Netz zurück oder es gibt politische Gründe, wonach das Netz absichtlich destabilisiert werden soll. Andere europäische Länder sind eingesprungen und haben Strom aus ihren Kraftwerken aufgewendet, um ihn ins Netz einzuspeisen und damit die Netzfrequenz stabil zu halten. Aber das reicht nicht aus, es bleibt ein Frequenzfehler, der sich aufsummiert. Und der ist bis zum 5. März auf stolze sechs Minuten angewachsen. Die Uhren an Backöfen und Radioweckern (die nicht funkgesteuert sind) in ganz Europa gehen also sechs Minuten nach, weil die Serben ihr Stromnetz nicht im Griff haben, oder mit irgendjemandem im Clinch liegen.

Inzwischen ist das Geschehen ein Fall für die Politik. Denn es gibt viele Fragen: Was ist passiert? Warum ist es passiert? Und wer bezahlt den Strom, der als Regelleistung von anderen eingespeist werden muss? Fragen, welche die Politiker herausfinden und lösen müssen. Damit uns ins Europa nicht das Szenario droht, was Marc Elsberg in seinem Roman »Blackout« sehr ausführlich geschildert hat. In dem Thriller geht es um die Netzfrequenz, die von Terroristen destabilisiert wird, was zu einem europaweiten Stromausfall führt.

Wer sich für die, zugegebenermaßen, komplizierten Details zur Netzfrequenz und Netzzeit interessiert, dem empfehle ich die aktuellen Nachrichten auf der Internetseite zur Netzfrequenzmessung.

Ganz im Ernst, ich dachte nicht, dass ich das Wissen aus dem Fach Energietechnik im Studium irgendwann nochmal gebrauchen kann. Aber … es scheint als sei mein Ingenieurstudium doch nicht ganz für umsonst gewesen.