Science Fiction Hall of Fame 1 (1934-1948)
Herausgegeben von Robert Silverberg
Den Ausschlag gab die Lektüre von »Invasion der Zukunft«. Obwohl ich schon nach dem Kurzgeschichtenseminar an der Bundesakademie beschlossen hatte, mich mehr mit klassischer Science Fiction zu beschäftigen. Die Geschichtensammlung vom Golkonda-Verlag ist dazu ein guter Einstieg. Die Anthologie wurde in einem langen Auswahlprozess von den Mitgliedern der »Science Fiction Writers of America« zusammengestellt und vereint die besten phantastischen Kurzgeschichten der amerikanischen Science Fiction Literatur zwischen 1934-1948.
Das Science Fiction keine Erfindung der Neuzeit ist, war mir zwar klar. Dennoch musste ich mir beim Lesen immer wieder vor Augen halten, wann diese Geschichte geschrieben wurden, nämlich mitten im Weltkrieg in den 30er und 40er Jahren. Was hat die Autoren bewegt, sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit der Zukunft auseinanderzusetzen? Alle Geschichten stecken voller Visionen und sind stellenweise auch vom wissenschaftlichen Standpunkt korrekter, als ich das erwartet hatte.
Natürlich ist vieles inzwischen von unserer Gegenwart überholt worden. So zum Beispiel, dass es weder Sauerstoff, noch Leben auf dem Mars gibt. Das macht die Erzählungen aber nicht weniger spannend. In vielen der Geschichten werden Botschaften transportiert und auf Schwächen der Gesellschaft hingewiesen. Erstaunlich ist, wie viele Elemente ich bereits kannte, aus Filmen oder Serien, aber auch aus Büchern. Elemente die von Filmemachern und Autoren entdeckt und in veränderter Form weiterentwickelt wurden. So ist gleich die erste Geschichte »Eine Mars-Odyssee« von Stanley G. Weinbaum eine frühe Version von Andy Weirs »Der Marsianer«. Die Geschichte »Arena« von Fredric Brown war unumstritten Inspiration für die gleichnamige Folge der klassischen Star Trek-Serie.
Alle Geschichten haben mir durchweg gut gefallen. Es gab keine, die mich nicht in ihren Bann gezogen hätte. Dennoch sind mir einige besser in Erinnerung geblieben. Dazu gehört »Einbruch der Nacht« von Isaac Asimov, der ein außergewöhnliches Gedankenspiel aufgegriffen hat. Was passiert, wenn Bewohner einer fremden Welt zum ersten Mal den Sternenhimmel sehen? Sie steht beispielhaft für die Phantasie der Autoren, sich in eine Welt jenseits ihrer Realität zu versetzen und eine Gesellschaft zu beschreiben, die sich von ihrer eigenen grundlegend unterscheidet.
In »Die Straßen müssen rollen« von Robert A. Heinlein und »Der mikrokosmische Gott« von Theodore Sturgeon ist es der Technikglaube, der unter die Lupe genommen wird. Die Autoren kommen zu dem Konsens, dass die Technik ohne den Menschen nicht das Allheilmittel sein kann. Warnen aber auch davor, was passieren kann, wenn Technik in falsche Hände gerät. Auch die Zeitreisegeschichte »Abendämmerung« von John W. Campbell, Jr. liefert Impulse zum Nachdenken über die zunehmende Technisierung und die damit einhergehende Degenerierung der Menschen.
Um Psychologie geht es in den Geschichten »Gar elump war der Pluckerwank« von Lewis Padgett und »Zuflucht« von Clifford D. Simak. Letzterer beschreibt in eindringlichen Bildern das Leben eines Mannes, der unter Agoraphobie leidet. Ausgelöst durch eine zunehmende Abkapselung der Menschen voneinander. Ein Thema das gerade in der heutigen Welt mit Internet und Sozialen Medien brandaktuell ist.
Natürlich sind die Geschichten auch durchsetzt vom Geschlechterdenken der damaligen Zeit. Wie in »Helena« von Lester del Rey, in dem es um eine Androidin geht, die sich in ihren Schöpfer verliebt, oder wie in »Der Waffenladen« von A. E. van Vogt sind Frauen meist nur schmückendes Beiwerk und kommen nicht über die Rolle der Sekretärin oder des Heimchen am Herd hinaus. Das ist ein Problem, das auch später in der frühen PERRY RHODAN-Serie noch eine Rolle spielte. Es wird eine großartige technische Zukunftswelt beschreiben, die gesellschaftlichen Strukturen und Denkweisen aus der Zeit, in der die Autoren lebten, aber bleiben. Ob diese Vision die Geschichtenerzähler nicht ereilt hat oder ob sie die schlicht bei ihren Verlegern nicht hatten durchsetzen können, lässt sich heute nicht mehr beantworten.
Besonders fasziniert war ich von den unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Autoren. Die klassischen Elemente einer Kurzgeschichte waren bei manch einer der Stories nicht, oder nur schwach zu erkennen. »Erstkontakt« von Murray Leinster zum Beispiel enthält kaum Dialoge, sondern setzt sich in endlosen Überlegungen mit der Problematik eines ersten Kontakts zwischen Menschen und Außerirdischen auseinander. Das Ganze wird streng auktorial erzählt, klingt wie ein Essay, ist aber alles andere als langweilig.
»Nur eine Mutter« von Judith Merril ist die einzige Geschichte in der Sammlung, die von einer Frau verfasst wurde. Hier geht es um Mutationen von Kindern durch den Atomkrieg. Die zunächst wenig spannende Geschichte wartet mit einem verblüffenden Ende auf.
Im Oktober erscheint Band zwei der Science Fiction Hall of Fame, darin sind Kurzgeschichte aus den Jahren von 1948 bis 1963 zusammengestellt.
Das Cover des Buches ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, erinnert die Abbildung doch eher an einen Plattenspieler denn eine Rakete. Doch für Science-Fiction-Fans, die sich bisher vor allem mit Filmen und Serien des Genres auseinandergesetzt haben, ist es interessant zu lesen, woher all die Ideen satmmen, die man schon oft im Kino und Fernsehen gesehen hat. Es lohnt sich.
Noch eine Notiz am Rande. Viele der Geschichten erschienen in Deutschland erst in den Achtziger Jahren und da zumeist im Pabel-Moewig-Verlag, der Heimat der PERRY RHODAN-Serie.
Die 30er und 40er Jahre werden nicht ohne Grund das Goldene Zeitalter der SF genannt. Weinbaums „Mars-Odyssee“ finde ich übrigens eine der besten Darstellungen von Aliens überhaupt in der Literatur. Was die Veröffentlichungen in Deutschland bei PMV angeht, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass dabei vieles gnadenlos gekürzt wurde.