Literatur ist subjektiv und wenn es um Hochliteratur geht, erst recht. Der eine braucht einen möglichst komplexen Plot in anspruchsvoller Sprache, während es dem anderen nicht simpel genug sein kann, sowohl stilistisch als auch inhaltlich. Daran gibt es auch nichts auszusetzen, jeder muss die Literatur finden, die ihn anspricht … Sich angesprochen fühlen, genau darum geht’s doch bei einem guten Buch. Doch die passende Lektüre zu finden, ist auf einem Literaturmarkt, der angefüllt ist mit zweit- und drittklassischen Veröffentlichungen und der jeden Tag wächst und wächst wie ungezähmte sich ausbreitende Natur mehr Glücksfall denn planbar.
Einer dieser Glücksfälle ereilte mich am Wochenende. Bei der Recherche zu meinem neuen Roman stieß ich zufälligerweise auf ein Buch, dessen Grundidee mich ein wenig an mein geplantes Projekt erinnerte, in Inhalt und Machart aber völlig verschieden ist.
„Wie schön alles begann und wie traurig alles endet“ von Dirk Bernemann zog mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg.
Man kennt das ja; im Zeitalter der E-Books ist es leicht, sich schnell mal einen Auszug eines Buches aufs iPad zu ziehen. Man liest es an, beurteilt es und löscht es gegebenenfalls wieder. Ich gebe offen zu, ich bin ein Freund klassischer „Totholzbücher“ – also richtigen Büchern aus Papier. Lesen mit dem iPad ist nicht mein Ding, weil mir meist nach zehn Minuten der Arm einschläft. (Bei Büchern passiert mir das nie. Schon komisch!) Also kaufe ich mir meist die Bücher im Buchhandel oder bestelle sie bei booklooker.
Dieses Mal war das anders. Der Auszug aus Dirk Bernemanns Roman saugte mich regelrecht ein. Wie von einer Bestie am Schopf gepackt und in die Tiefen eines Meeres hingerissen. Ich konnte nicht warten … ich wollte nicht warten … um alles in der Welt wollte ich diesen Roman lesen und zwar jetzt auf der Stelle – Verrückt!
Dabei entspricht die Geschichte so gar nicht dem, was ich sonst konsumiere. Auf den 192 Seiten gibt es kaum Dialoge, es fehlt der klassische Aufbau und die Figur ist niemand, mit dem ich mich auf Anhieb identifizieren würde und dennoch … raubte mir der Text buchstäblich den Atem.
Der innere Dialog eines alternden Punks mal im Ich-Präsens mal im Ich-Präteritum ist gespickt mit klugen und vor allem wahren Aussagen, dazwischen Rückblicke, lose Erinnerungen, Dialogfrei aber nie langatmig und vor allem nicht langweilig. Es geht um Krieg und um Liebe. Beides liegt ja bekanntlich nah beieinander. Die Beobachtungen die Dirk Bernemann zu Papier bringt, kann man nicht treffender formulieren. Es ist, als entblättere er die Wahrheiten des Lebens bis auf seine nackte Existenz, mit einer Wortwahl von ungewöhnlicher Eleganz. Seine Metaphern scheinen unmöglich und doch treffen sie einen tief. Man giert nach jedem Wort, lechzt nach jedem Satz, liest und liest und wird immer tiefer hineingezogen in die kaputte Welt des Protagonisten, die der eigenen doch so ähnlich ist. Irgendwann findet man sich zwischen all den Textzeilen wieder, als kleines unbedeutendes Nichts. Spätestens dann glaubt man an den Krieg den der namenlose Protagonist prophezeit und man fühlt sich hilflos gegenüber seiner eigenen Inkompetenz.
Der Autor durchbricht das häufige und stete Bla Bla Bla der Gegenwartsliteratur mit Texten, die so scharf formuliert sind, dass sie aufschlitzen und das Innerste herausquellen lassen. Nicht von leichtem Inhalt, aber federleicht zu lesen. Es ist fast so als kriechen die Worte und Sätze von selbst in einen hinein und setzen sich wie ein Virus fest, um noch Tage später ihre Bilder im Gehirn zu verteilen.
Mein Fazit: „Wie schön alles begann und wie traurig alles endet“ gehört für mich zum wertvollsten, das ich in letzter Zeit, wenn nicht gar überhaupt, gelesen habe. Danke!
Ganz ehrlich: Ich bin ein wenig neidisch auf Dirk Bernemann. Der Mann ist ein Jahr jünger als ich und schreibt auf einem Niveau, dass ich niemals erreichen werde, selbst wenn ich die nächsten fünfzig Jahre jeden Tag wie eine Besessene an mir arbeiten würde. Wenn ich könnte, würde ich ihn für den Literaturnobelpreis nominieren, aber ich glaube, das wäre dem genialen Autor nicht Punk genug. Dafür verlinke ich hier seinen Blog.
„Wie schön alles begann und wie traurig alles endet“ erschien im Feburar 2015 im Unsichtbar Verlag und ist auf allen E-Book Plattformen und im Buchhandel erhältlich.