… wurde mein gestriger Feierabend.
Ich versuche mich kurz zu fassen, denn nachdem was ich gestern an Abenteuern erlebt habe, könnte ich glatt einen ganzen Roman schreiben.
Wenn ich gewusst hätte, dass der Sturm so schlimm wird, wäre ich niemals nach München zu Arbeit gefahren. Aber der Wetterbericht klang nicht gefährlich und am Morgen war bei uns im Osten von Bayern auch kein Lüftchen zu spüren. Schon auf der Zugfahrt nach München hatte ich ein komisches Gefühl. In das typische Geräusch des fahrenden Zuges mischte sich etwas Neues Fremdes. Bis ich registrierte, dass es starke Windböen waren, kam ich auch schon am Münchner Ostbahnhof an.
Im Büro fegte dann den ganzen Vormittag der Wind wie blöd gegen die Fensterscheiben. Es knackte und knirschte. Draußen kämpften Mitarbeiter einer Firma aus dem Nachbarhaus, mit den Fahnen, die fast von den Fahnenstangen gerissen wurden. Die Feuerwehr fuhr unentwegt durchs Gewerbegebiet. Spätestens als ich sah, wie das Wasser im Toilettenbecken hin und her schwappte, bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Das hieß, dass das Gebäude schwankte und das kannte ich eigentlich nur aus New York. Wenn man im vierten Stock eines massiven Bürogebäudes schon Schwankungen feststellen konnte, musste der Wind draußen schon sehr heftig sein.
Gegen 14 Uhr warf ich einen Blick auf die Statusseite der Deutsche Bahn. Der S-Bahnverkehr in München war eingestellt, die IC’s und EC’s in meine Richtung waren hoffnungslos verspätet, aber die Regionalzüge schienen noch zu fahren. Meine Kollegen machten Witze, dass ich ja im Büro übernachten könnte. Um halb drei hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste versuchen nach Hause zu kommen und je früher ich startete, desto größer waren meine Chancen.
Auf dem Weg zur U-Bahn kam mein Bus an dem kleinen Wäldchen am Ortsrand von München vorbei, das bei Joggern und Hundebesitzern sehr beliebt ist. Jetzt standen dort nur noch ein paar vereinzelte Bäume. Der Rest lag flach wie niedergedrücktes Gras. Mit offenem Mund starrte ich auf das Bild der Verwüstung, ich konnte nicht fassen, was ich sah. Heute morgen war da noch ein dichter Wald gewesen. In der U-Bahn informierte ich gleich mal meine Kollegen darüber.
Als ich schließlich halb vier am Hauptbahnhof ankam, war der voller gestrandeter Reisender. Die Tafel in der Haupthalle, zeigte nur vereinzelte Züge an, mit dem Vermerk: „Auf unbestimmte Zeit verspätet“ sowie die gesperrten Richtungen, darunter auch Rosenheim. Bei einem Bahnmitarbeiter erkundigte ich mich nach einer Verbindung Richtung Salzburg und erntete nur ein Schulterzucken. Der Bahnverkehr war vorerst eingestellt. Vielleicht ging ab 17 Uhr wieder was, aber versprechen könnte mir das keiner. Ich rief meinen Mann an und erzählte ihm was los war. Der machte gerade Feierabend und war auf dem Weg zum Auto. Er versprach sofort Richtung München zu fahren, um mich abzuholen. Wir verabredeten uns an der Messestadt. Das war die einzigste Station, die ich mit der U-Bahn erreichen konnte, und die weit genug im Osten von München lag.
Dort angekommen, flüchtete ich erstmal in die Riem-Arkaden und wärmte mich an einem Kaffee. Draußen fegte eisiger Sturm über den Platz, außerdem regnete es jetzt. Plötzlich klingelte mein Handy. Mein Mann hatte es bis nach Ebersberg geschafft, kam aber nicht bis zur Autobahn durch, weil die Straße durch den Forst gesperrt war. Er musste auf der B304 weiter Richtung München. Das hieß, wir brauchten einen neuen Treffpunkt. Da erinnerte ich mich daran, auf der Fahrt hierher in Trudering vorbeigekommen zu sein. Trudering hatte einen U- und S-Bahnhof und lag an der B304. Inzwischen maulte mein Handy-Akku. Ich schickte meinem Mann eine SMS, dass ich am Bahnhof in Trudering auf ihn warten würde und fuhr los.
Die Bushaltestelle vorm Truderinger Bahnhof war voller wartender Menschen. Fast minütlich hielten Autos und nahmen wartende Fahrgäste auf. Dazwischen brachte Busse neue Massen und nahmen wieder welche mit. Leider fuhr kein einziger in die Richtung, in die ich wollte. Plötzlich wurde es schlagartig dunkel und ein Unwetter brach los. Regen peitschte waagerecht über die Straße. Zum Glück hatte ich meine Jacke aus beschichtetem Segeltuch an, aber selbst die war in Minuten durchnässt. Blitze zuckten über den Himmel und es krachte. Der kalte Wind stach mich wie Nadeln ins Gesicht, meine Hände fühlten sich schon taub an. Und das ich seit über einer Stunde nichts mehr von meinem Mann gehört hatte, machte mich fertig. Von Ebersberg bis Trudering sind es vielleicht fünfundzwanzig Kilometer, er hätte schon längst da sein müssen. Gegen halb sechs, dann der erlösende Anruf. Er steht auf der B304 an einem Sportplatz in Trudering und findet den Bahnhof nicht. Ich sagte ihm: Er solle bleiben wo er ist, ich käme hin.
Zwischenzeitlich hatte ich mitbekommen, dass die B304 parallel zu der Straße vorm Bahnhof verlief. Ich ging los und hatte sie nach ein paar Minuten erreicht. Zum Glück regnete es nicht mehr, aber es war empfindlich kalt. Ich rief meinen Mann an, dass ich an der B304 gegenüber einer Shell-Tankstelle stehe, und fragte, ob er daran schon vorbeigekommen ist. Ich hörte ihn noch sagen, dass ihm keine Shell-Tankstelle aufgefallen sei, dann brach die Verbindung zusammen. Mist! Akku leer.
An der Straße, fragte ich eine Frau, wo denn hier ein Sportplatz ist. Sie deutete Richtung Osten und meinte, dass es bis dahin aber noch ziemlich weit sei. Ich entschloss mich, loszulaufen und auf die Fahrzeuge zu achten, die mir entgegen kamen. Man glaubt ja nicht, wie viele weiße Opel Corsa herumfahren. Nach 800 Metern sah ich plötzlich das gelbe Star Trek-Emblem auf einer weißen Kühlerhaube aufblitzen, dazu die vertraute Traunsteiner Nummer. Ich rannte winkend zum Straßenrand, aber mein Mann hatte mich schon längst erkannt und hielt. Lächelnd reichte er mir ein Päckchen aus einem Wienerwald-Restaurant und eine Flasche Wasser. Gott, war ich glücklich, dass wir uns tatsächlich gefunden hatten.
Der Rückweg dauerte ewig. Weil jeder irgendwie mit dem Auto aus der Stadt wollte, gab es überall fürchterliche Staus. Im Radio berichteten die Nachrichten von der Evakuierung des Münchner Hauptbahnhofes und das der Zugverkehr in ganz Bayern vorerst eingestellt bleiben würde. Ich war froh, das mein Mann mir zu Hilfe geeilt war.
Wir brauchten für die wenigen Kilometer bis Ebersberg fast zwei Stunden. Danach war die Straße frei und wir kamen bis kurz vorm Ziel gut voran. Wegen umgestürzter Bäume war die Bundesstraße seit Nachmittag gesperrt. Der LKW vor uns kannte wohl eine kürzere Umleitung und so folgten wir ihm über enge Landstraßen und durch dichte Wälder. Überall lagen umgestürzte Bäume, nur notdürftig beiseite geräumt. Im Zickzack, ständig waren Straßen gesperrt, fuhren wir Richtung Heimat und waren gegen 21 Uhr endlich zu Hause.
Jetzt hieß es; nur noch unter die Dusche und ab ins Bett. Vom langen Sitzen tat uns alles weh, aber ich war überglücklich, in mein eigenes Bett kriechen zu dürfen.