Männerspiele

Ich sitze im Zug, wie immer konzentriert über ein Manuskript gebeugt, das vor mir auf dem Klapptisch liegt. Hin und wieder sehe ich auf, mein Blick schweift aus dem Fenster. Die Landschaft fliegt an mir vorbei. Als meine Augen zurückkehren, bleiben sie am Display eines Laptops hängen, den ein Mann vor mir aufgeklappt hat. Ein Computerspiel, erkenne ich sofort und will mich schon wieder abwenden. Doch dann sehe ich, wie der Mann einen Traktor durch eine virtuelle Landschaft steuert. Fasziniert spähe ich durch den schmalen Spalt zwischen den Sitzen. An dem Traktor ist eine Art Gabel angebracht, mit der der Mann nun versucht eine Palette aufzunehmen. Nach mehreren Versuchen gelingt ihm das auch und er transportiert die Palette zu einem virtuellen Lagerplatz. Ich schüttle mit dem Kopf und wende mich wieder meinem Text zu. Als ich nach einer Weile wieder aufsehe, spielt der Mann immer noch. Dieses Mal fährt er eine Dampfwalze und begradigt eine simulierte Asphaltstraße. Wieder sehe ich verwundert einige Minuten zu, bevor ich mich von dem Anblick lösen kann.

Als ich die Arbeit an meinem Manuskript beende, fährt der Mann wieder mit dem Gabelstapler durch die virtuelle Landschaft. Der Brocken, den er auf der Gabel hat, hängt schief. In der Realität wäre das Fahrzeug schon längst umgekippt. An einer Kreuzung bleibt er stehen, muss einige Fahrzeuge passieren lassen. Als er wieder anfahren will, schiebt sich plötzlich ein Balken ins Bild: GAME OVER!
Jemand tippt mich vorsichtig von der Seite an. Erschrocken drehe ich den Kopf. Eine Frau aus der Nachbarreihe hat sich zu mir herüber gebeugt und raunt mir zu: „Verrückt mit was ‚Mann‘ sich beschäftigen kann.“ Sie grinst mich an und ich lächle verstehend zurück.

Der Mann vor mir ist vielleicht so alt wie ich und er tut mir irgendwie leid. Wahrscheinlich hat er einen knochentrockenen Job, der ihn kaum herausfordert. Und er erfüllt sich mit diesen einfachen Tätigkeiten in einem Computerspiel seinen Herzenswunsch. Vielleicht wäre er lieber Baggerfahrer, aber weil das so schlecht bezahlt wird, ist er Ingenieur oder Programmierer geworden.

Ich finde es traurig, wenn ich daran denke, wie viele Menschen in einem Job arbeiten, der sie nicht befriedigt und ihnen als einziger Ausweg die Flucht in die virtuelle Realität bleibt.

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