Ich bin entsetzt. Da werden Begriffe der friedlichen Revolution von ’89 wie „Montagsdemo“ dazu genutzt, um Ausländerhass zu verbreiten. Da gehen 15 000 Menschen auf die Strasse, von denen wahrscheinlich zwei Drittel keine Ahnung haben, wofür sie eigentlich demonstrieren und der Rest einfach nur die Gelegenheit nutzt, um offen braunes Gedankengut zu verbreiten. Ich bin sprachlos und beschämt. Da bekommt man als Ostdeutscher in den anderen Bundesländern schiefe Blicke zugeworfen und muss sich für etwas rechtfertigen, das über den eigenen Verstand hinausgeht.
Da wird von „Angst vor Islamisierung“ gesprochen, Angst davor das Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen ihre Konflikte auf deutschen Boden austragen könnten. Da stellt man sich doch die berechtigte Frage, woher kommt diese Angst.
Dazu gibt es viele eindeutige Antworten:
– Medien! Sieht man sich die Nachrichten im TV und den „populären“ Zeitungen an, so gibt es eigentlich nur noch ein Thema: Krieg und Gewalt. Dabei wird auffälligerweise zumeist aus Staaten mit vorwiegend islamischer Bevölkerung berichtet und eine beispiellose Schwarzmalerei betrieben. Positive Nachrichten werden einfach ausgeblendet oder auf Seite drei verbannt, weil sich ja nur das Negative gut „verkauft“. Von unabhängiger Berichterstattung kann da schon lange keine Rede mehr sein. Es ist fast schon Propagandajournalismus, der da derzeit betrieben wird. Da kann einem auch wirklich Angst und Bange werden. Ein Grund dafür, das ich mich schon lange davon verabschiedet habe, Nachrichten im TV oder aus Zeitungen zu konsumieren.
– Politik! In diesem Punkt werfe ich sowohl den Parteien, als auch der Regierung totales Versagen vor. Und da nehme ich keine der großen Parteien aus. Ob CDU/CSU, SPD, Linke oder die Grünen – Sie haben in den letzten zwei Jahrzehnten versäumt, so etwas wie Integration zu schaffen. Große Reden darüber zu halten und jetzt mit dem Zeigefinger zu drohen, hilft weder der Bevölkerung noch den Ausländern. Aufklärung täte da Not, doch das hieße Geld in die Hand zu nehmen. Da lässt man sich doch lieber vor den Karren spannen, wie es die CSU gerade tut, um nach ein paar Wählerstimmen im rechten Lager zu fischen. Forderungen, die Menschen vorschreiben, in welcher Sprache sie mit ihren Familienangehörigen zu kommunizieren haben, klingen für mich zutiefst menschenfeindlich. Konsequenterweise müsste die CSU dann auch fordern, dass in bayrischen Familien kein Bairisch mehr gesprochen werden darf. Aber andererseits ist es in Bayern Privatleuten verboten, Flüchtlinge aufzunehmen, selbst wenn sie über die notwendigen Vorraussetzungen verfügen. Darüber sollte man mal nachdenken, bevor man Flüchtlinge in isolierten „Ghettos“ unterbringt. Integration sieht für mich anders aus. Denn die Menschen, die jetzt zu uns kommen, sind nicht die Ärmsten der Armen, sondern die, die sich eine Flucht leisten können und über entsprechende Bildung verfügen.
– Unzufriedenheit! Ich kann die Gedanken der Ostdeutschen in Sachsen schon nachvollziehen. Vierzig Jahre abgeschottet (im „Tal der Ahnungslosen“ wie es damals so schön hieß), da ist das Misstrauen gegenüber Fremden groß, zumal das Vertrauen der Menschen nach der Wende vom Westen oft genug missbraucht wurde. Vielen wurde in den Jahren nach dem Mauerfall die Lebensgrundlage entzogen. Menschen, die es gewohnt waren, nicht für alles kämpfen zu müssen und die an den Zusammenhalt der Gesellschaft glaubten, wurden plötzlich mit der Fratze des Kapitalismus konfrontiert. Wir Ostdeutschen leiden noch heute unter unserem mangelnden Durchsetzungsvermögen, weil wir eben nie gelernt haben, für das eigene Wohl über Leichen zu gehen. Für viele muss sich das, was sich in der Flüchtlingsfrage gerade abspielt, wie eine Bedrohung anfühlen.
Dennoch es ist unverzeihlich, die Fehler die Politik und Gesellschaft in der Vergangenheit gemacht haben, den Menschen aufzubürden, die ihre Heimat verlassen mussten, um heil mit dem Leben davonzukommen. Wir an ihrer Stelle würden nicht anders reagieren und wären sicher froh irgendwo aufgenommen zu werden. So wie die tausenden Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR im Westen Unterschlupf gesucht und meist auch gefunden haben. Etwas, das wir Ostdeutschen nach fünfundzwanzig Jahren gerne vergessen.